Die Auswanderinnen (German Edition)
engen Jeans. Dieter sollte sie wirklich nicht so aufreizend herumlaufen lassen.
„Du isst aber auch alles!“ Isabella drehte sich zu Kurt um, bemerkte das Glitzern in seinen Augen und deutete es richtig. Begehren lag darin. Gier. Wollust. Überrascht senkte sie ihre Augen, wobei ihr Blick seinen Bauch streifte, der sich trotz seines durchtrainierten Körpers, deutlich unter dem losen Hemd abzeichnete. „Wie man unschwer erkennen kann“, versuchte sie mit harmlos klingender Stimme und naivem Lächeln ein Ablenkungsmanöver und hoffte dabei, seinen lüsternen Blick falsch gedeutet zu haben. Wenn nun auch einer der anderen ihn registriert hatte, wie peinlich!
Aber Kurt grinste frech zurück. Seine Unterlippe zuckte dabei, und dann fuhr er sich mit seiner Zungenspitze ganz langsam und genüsslich über die Oberlippe. Ob dieser plumpen Anmache runzelte sie wütend ihre Stirn und drehte sich ruckartig zu Dieter um. Weder er noch Johanna noch einer der anderen schienen den Blickwechsel zwischen ihr und Kurt bemerkt zu haben. Johanna, die Kurt offen ihre Unterstützung zeigen wollte, meinte nun sogar: „Mir hat das Essen auf dem Schiff auch ganz gut geschmeckt. Meistens wenigstens. Und das Camp ist wirklich nicht übel. Zumindest schwankt der Boden hier nicht mehr.“
Da musste Isabella plötzlich lachen, und die andern fielen in ihr kehliges Lachen mit ein. Die arme Johanna hatte bis zum letzten Tag der Überfahrt, sogar als sie schon vor Anker lagen, ihre Tabletten schlucken müssen. Seit ihrem unseligen Unfall hatte sie an der Seekrankheit gelitten, und wenn sie den Zeitpunkt der Tabletteneinnahme auch nur um zehn Minuten überzogen hatte, war das widerliche Würgen wieder losgegangen. Heute war der erste Tag ohne das Medikament, und sie fühlte sich wunderbar.
„Eigentlich ist es richtig schön hier!“, unterstrich Johanna noch einmal ihr wiedergewonnenes Wohlbefinden und schlug vor, schwimmen zu gehen.
Die anderen stimmten ihr zu, nur Isabella hielt den Mund und ging schweigend zu ihrer Hütte, um ihren Badeanzug zu holen. Nachdem sie sich ein paar Meter entfernt hatte, hielt sie inne und drehte sich um. Sie gab Dieter ein Signal, ein kurzes Schnippen mit den Fingern, das wie ein unausgesprochener Befehl wirkte. Dieter stand auf und folgte ihr.
Kurt machte daraufhin, leise genug, damit Dieter es nicht hören konnte, eine seltsame Bemerkung, die wie eine Prophezeiung klang. „Der wird sich noch wundern! Da muss schon ein anderer her. Was die braucht, ist ein ganzer Kerl, der sie mal richtig hernimmt. Damit sie kapiert, wo’s langgeht. Nicht so ein Weichei wie Dieter, der kann sich nicht behaupten, das gibt noch ’ne Tragödie.“
Uwe lachte beifällig und Eva und Johanna nickten, als würden auch sie dem Gesagten zustimmen.
Kapitel 13
Sie blieben drei Wochen im Bonegila Camp. Es war eine Zeit unfreiwilligen Nichtstuns, als wäre ihr Urlaub von der Reiseleitung ohne Angabe von Gründen verlängert worden. Die Reiseleitung blieb unsichtbar und agierte ganz nach Belieben, sodass den ahnungslosen und frustrierten Campbewohnern nur die Hoffnung blieb, möglichst bald darüber informiert zu werden, was als Nächstes geschehen würde. Sie hatten rein gar keine Aufgaben oder Pflichten. Nur ihre Hütten und sich selbst sollten sie sauber halten. Alles Weitere wurde vom Camppersonal geregelt, einer Horde gleichgültiger Australier, deren Aussprache eine Zumutung für all diejenigen war, die ihr Schulenglisch noch gut im Ohr hatten.
Das Essen war so gut wie ungenießbar. Lammkoteletts in öliger Soße mit rotbrauner Bohnenpampe, lauwarmer Hammeleintopf, auf dem die Fettaugen wie weiße Schimmelpilze schwammen, aufgeweichtes Weißbrot, das nach Pappe schmeckte, und ranzig riechende Butter. Kein einziges Mitglied des Camppersonals antwortete auf ihre Fragen hinsichtlich der Dauer ihres Aufenthalts. Dagegen herrschte die für ein Durchgangslager übliche Gleichgültigkeit, die den Angestellten nach langen Dienstjahren bei immer wechselnder Belegschaft zu Eigen geworden war.
Die meisten weiblichen Campbewohner waren nach dem Frühstück mit ihren wenigen Haushaltspflichten beschäftigt. Sie reinigten die Hütten, lüfteten die Schlafstellen und wuschen einige Kleidungsstücke. Das Camp gehörte ihnen bis zum Mittag, und sie zögerten jeden Handgriff absichtlich hinaus, eine Emsigkeit vortäuschend, die sie vor der Langeweile retten und die vielen Tratschgeschichten rechtfertigen sollte, die sie sich in
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