Die Auswanderinnen (German Edition)
und untereinander nur englisch zu sprechen, aber meist wechselten sie, sobald sich einer von ihnen zu lange mit einer Formulierung abquälte, wieder in ihre Muttersprache zurück.
Vier Wochen später erhielten sie dann die Teilnahmebestätigung am Sprachkurs, die ihren zukünftigen Arbeitgebern beweisen sollte, dass die Regierung ihren Job getan und mündige, fähige Bewerber auf den Arbeitsmarkt geschickt hatte. Sie hatten auch wirklich das Gefühl, viel gelernt zu haben. Plötzlich verstanden sie zumindest einzelne Worte, manchmal sogar Gesprächsfetzen und, mit viel Glück, sogar ganze Sätze, wenn sie Radio hörten oder in den Geschäften des Lagers einkauften. Dennoch hatten sie das Lager noch kein einziges Mal verlassen. Isabella und Dieter fragten zwar immer mal wieder, wann sie denn nun endlich die Stadt erkunden würden, aber Kurt winkte jedes Mal ab. „Dafür ist später noch genug Zeit“, entschied er. „Wenn wir Arbeit haben und Geld verdienen!“ Dabei wusste er nicht einmal, wie viel die Busfahrt in die Innenstadt kostete. Das Verständigungsproblem machte sie alle unsicher, während das Lager, in dem sie sich häuslich eingerichtet hatten, doch so etwas wie einen Kokon, einen Schutz vor dem unbekannten Draußen für sie darstellte.
Nach Ende des Kurses war ihnen nicht so recht klar, wie es nun weitergehen würde. Sie studierten gemeinsam die Jobangebote, die am schwarzen Brett hingen, lasen Wohnungsannoncen in der Zeitung, und diskutierten nächtelang, wie sie die Zukunft am besten angehen sollten.
Bis Kurt eines Abends, sechs Wochen nach ihrer Ankunft in Sydney, erklärte, dass sie unmöglich länger hierbleiben konnten. Je länger sie im Camp blieben, umso bequemer würden sie werden, argumentierte Kurt. Außerdem wäre der Name Villawood für jeden Arbeitgeber ein Begriff. Sie würden sich damit selbst als Einwanderer brandmarken, die keine Ahnung hätten, wo es langging. Johanna nickte. Ihr waren seine Beweggründe gleichgültig, aber sie hasste Villawood fast genauso sehr wie Bonegila. Es war ein Lager, ein Gefängnis, das nie richtig sauber zu halten war, und in dem es vor Ungeziefer nur so wimmelte.
„Wir müssen hier raus“, sagte Kurt nachdrücklich. „Es gibt keinen weiteren Sprachkurs mehr für uns und wir vergeuden nur unsere Zeit.“
Nun nickte auch Eva zustimmend und sah zu Uwe hinüber. Der wiegte den Kopf in seiner bedächtigen Art hin und her und meinte, es sei doch alles ganz bequem und vor allem kostenlos hier, und sollten sie sich nicht erst einmal um Arbeit bemühen, ehe sie daran denken konnten auszuziehen?
„Na logisch“, meinte Kurt. „Deshalb bewerbe ich mich ab morgen auch bei verschiedenen Firmen, die Leute suchen. Egal als was! Von mir aus als Hilfsarbeiter. Danach suche ich uns eine Wohnung, und sobald wir hier ausgezogen sind und mein Englisch gut genug ist, werde ich wieder in meinem erlernten Beruf arbeiten.“
Dieter lachte ihn aus. „So viel Auswahl wirst du mit deinem Beruf wohl nicht haben. Ist euch denn noch nicht aufgefallen, dass es im ganzen Lager keine Heizungen gibt? Leute, wir sind hier in einem warmen Land, wer braucht da einen Heizungsmonteur?“
„Glaubst du vielleicht, ich bin blöd?“, fuhr Kurt ihn an, der Kritik an seiner Person nicht leiden konnte. Vor allem nicht, wenn sie von so einem Weichei wie Dieter kam. „Das habe ich gleich als Allererstes gefragt, als ich das Bewerbungsgespräch im Konsulat hatte. Sie haben hier sehr wohl Heizungen, nicht in allen Häusern, aber in einigen. Und in den Büros auch. Und stell dir vor, sie haben nicht genug Fachleute, um sie zu warten! Außerdem gibt es hier Klimaanlagen in allen Hochhäusern der Innenstadt, das wäre auch was für mich. Darauf könnte ich mich spezialisieren!“
Diese Argumentation konnte Dieter nachvollziehen – natürlich war Kurt klug genug gewesen, sich schon im Vorfeld abzusichern – und damit war er auch von Kurts gesamter Schlussfolgerung wieder überzeugt. Was Kurt sagte, klang doch eigentlich recht vernünftig. Sie mussten hier so schnell wie möglich raus, und gute Jobs bekam man nun einmal nicht, indem man im Lager herumlungerte. Gemeinsam gingen sie noch einmal zum schwarzen Brett, wo sie alle Angebote sorgfältig studierten und machten sich am nächsten Morgen getrennt auf den Weg.
Am ersten Abend hatte Johanna als Einzige eine Anstellung vorzuweisen. Sie hatte sich in einem Altenheim vorgestellt und als Putzhilfe beworben. Als die Heimleitung ihre
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