Die Auswanderinnen (German Edition)
übersetzten Zeugnisse sah, fragte sie, warum sie nicht in ihrem eigentlichen Beruf arbeiten wolle. Johanna erklärte in einfachen Worten, dass ihre Sprachkenntnisse dafür nicht ausreichend wären.
„Unsinn“, widersprach ihr Gesprächspartner, ein kleiner rundlicher Mann mittleren Alters, der sich, in einen schmutzig weißen Kittel gekleidet, die falsche Autorität eines Arztes angeeignet hatte und zwanghaft mit dem Stethoskop spielte, das vor seiner Brust baumelte. „Die alten Leutchen sind so und so nicht zu verstehen. Hauptsache Sie wissen, wie man sie versorgt. Und das tun sie doch, oder? Sie wissen doch, wie man ihnen Medikamente gibt und sie ruhigstellt, einen Verband wechselt und ihnen Windeln anlegt, oder?“
Johanna verstand nicht alles, was er sagte, aber sie nickte immer wieder, bis er schließlich aufstand und sie durch das Heim führte. Er redete ununterbrochen, ohne eine Antwort von ihr zu erwarten, bis sie wieder in sein Büro zurückgingen, wo sie ihren ersten Anstellungsvertrag unterschrieb. Vierzig Dollar die Woche!
Am Abend zeigte sie Kurt das Papier, der aber nicht sehr glücklich darüber zu sein schien. Halsabschneider seien sie, sagte er, für eine Fachkraft nur lausige vierzig Dollar zu bezahlen. Damit würde er sich nicht zufriedengeben. Aber das habe er sich schon gedacht, dass sie sich unter Wert verkaufen würde, wenn er nicht mit dabei wäre. Johanna war trotzdem froh. Ab morgen würde sie jeden Tag acht Stunden arbeiten dürfen, mit der Busfahrt hin und zurück wäre sie dann mindestens zehn Stunden von Kurt getrennt. Zehn lange Stunden ohne seine erdrückende Nähe. Denn Kurt wollte sie stets neben sich haben, überwachte jeden Handgriff von ihr und beurteilte und kritisierte sie ununterbrochen, sobald sie alleine waren. Er war so penibel, fast schon pedantisch. Eigentlich konnte sie ihm rein gar nichts recht machen. Und immer lebte sie in ständiger Angst vor seinem Jähzorn. Dann wurde er immer so ungerecht. Auch an diesem Abend war er wieder gereizt. Statt sich über ihren Erfolg zu freuen, hatte er sie früh zu Bett geschickt und war in die Lagerkneipe gegangen. Nach einer Stunde kam er zurück. Sie stellte sich schlafend. Tatsächlich ließ er sie in Ruhe, setzte sich ans Fenster ihrer Hütte und starrte in die Nacht hinaus. Kurze Zeit später öffnete er eine Bierdose, trank sie in einem Zug aus und rülpste laut. Johanna fiel in einen unruhigen Schlaf, immer auf der Hut, immer bereit, ihn nicht noch weiterzureizen.
Am nächsten Tag hatte auch er Arbeit gefunden, auf dem Bau. Dort hatten sie ihn nur kurz angesehen, seine ausgeprägten Bizeps- und Schultermuskeln taxiert und dann sofort angestellt. Und wie er erhofft hatte, verdiente er mehr als seine Frau. Er bekam sechzig Dollar auf die Hand, mit Überstunden würde er es sogar auf mindestens achtzig bringen. Das hatte er sich schon ausgerechnet. Also erzählte er den anderen, sein Gehalt beliefe sich auf achtzig Dollar; die Anstellungspapiere sah ja keiner von ihnen.
Kapitel 17
Nach einer Woche hatten sie alle Arbeit, alle, außer Isabella. Eva würde putzen gehen, Uwe in einer Fabrikationshalle am Fließband stehen, und Dieter hatte das große Glück gehabt beim Fernsehsender Channel TEN in der Requisitenabteilung unterzukommen. Das war zwar unter seiner Würde als gelernter Fotograf, aber zumindest hatte er schon einmal einen Fuß in der Tür, fanden die anderen. Und außerdem arbeiteten sie schließlich alle unter ihren Fähigkeiten. Sogar Johanna!
Isabella tat ihnen leid. Eva und Johanna wollten die Ärmste trösten, aber es schien ihr nicht viel auszumachen, als Einzige noch arbeitslos zu sein. Im Gegenteil, sie war vergnügt und versprach, sich dafür um die Wohnungssuche zu kümmern. Das war gar nicht so leicht, denn sie wollten ja zusammenbleiben, und drei möglichst billige Wohnungen in ein und derselben Wohnanlage zu bekommen, war ein fast unmögliches Unterfangen.
Und so sprach Kurt nach zwei Wochen, in denen Isabella keinen Erfolg verbuchen konnte, ein Machtwort. So ginge das nicht weiter, da würden sie ja Weihnachten noch im Lager sein. Und ewig in ihren knochenharten, entwürdigenden Jobs weiterarbeiten müssen. Oh nein, so ginge das nicht – ab sofort sollten sie sich aufteilen. Jedes Paar würde sich von nun an eine eigene Wohnung suchen. Der Gemeinschaftsgedanke wäre nur hinderlich, also müsse man eben flexibel sein und sich den Gegebenheiten anpassen.
Wieder war es Johanna, die als
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