Die Auswanderinnen (German Edition)
intensiver. Denn nun wusste sie ja, wozu er fähig war. Doch es wurde längst nicht so schlimm, wie sie befürchtet hatte. Kurt befahl ihr ins Bett zu gehen. Es war noch früh am Abend, die Dämmerung hatte noch nicht einmal eingesetzt. Mit einem Schal band er ihr die Beine zusammen und befestigte ihn danach am linken Bettpfosten. Dann ging er in die Küche, aus der er nach einer Weile mit einer langen Schnur zurückkam, mit der er ihr die Arme über dem Kopf am oberen rechten Bettpfosten festband. Ziemlich locker, ohne ihr wehzutun, sodass sie schließlich schräg auf dem Doppelbett lag und noch genügend Spielraum hatte, um sich bewegen zu können. Als er fertig war, besah er sich nochmals den Schal und entschloss sich, die Beine zusätzlich noch mit der Schnur zu fixieren. Was schon ein bisschen mehr wehtat, aber als sie erschreckt aufstöhnte, lockerte er den Knoten wieder ein wenig. Zuletzt ging er wortlos aus dem Zimmer. Johanna lag die ganze Nacht wach, immer in Sorge, dass er zurückkehren und ihr etwas Schreckliches antun könnte. Aber nichts geschah. Am Samstagmorgen um sieben Uhr hörte sie die Eingangstür. Plötzlich stand er vor ihr, blickte mit kalten, forschenden Augen auf sie hinunter, ohne ihr dabei ins Gesicht zu sehen und fragte, ob sie auf die Toilette müsse und als sie nickte, ließ er sie aufstehen. Daraufhin brachte er ihr noch ein Glas Wasser, band sie wieder fest und ließ sie weitere vierundzwanzig Stunden liegen. Am Sonntagmorgen kam er um die gleiche Zeit zurück. Diesmal war sein Blick getrübt, als hätte er getrunken. Sie wagte kein Wort zu sagen, denn sie wollte ihn nicht provozieren.
„Hast du Hunger?“, fragte er.
Sie überlegte kurz, was er wohl hören wollte und bejahte dann.
„Gut!“, sagte er. „Ich auch! Mach Frühstück.“ Er band sie los, rieb ihr sogar die Knöchel und Handgelenke, und half ihr beim Aufstehen. „Du verstehst, warum ich das tun muss“, erklärte er. „Du weißt so wenig und vertraust den falschen Leuten. Ich muss dir helfen, dir alles erklären und dir beibringen, was uns alles passieren kann, auch wenn es dir wehtut. Damit wir gewappnet sind für den Ernstfall. Das verstehst du doch?“
Sie nickte mehrmals. Irgendwie verstand sie ihn ja tatsächlich. Er machte sich Sorgen um sie und wollte sie beschützen. Er konnte ihr seine Liebe nicht anders zeigen, weil er auch nie etwas anderes kennen gelernt hatte als Brutalität. Den wenigen Sätzen über seine Kindheit hatte sie entnommen, dass die vernichtende Gleichgültigkeit seiner alkoholkranken Eltern nur von regelmäßigen Prügeln und Strafaktionen von beispielloser Grausamkeit unterbrochen worden war. Er konnte nichts dafür und meinte es nur gut.
„Rühreier und Schinken“, befahl er.
Also briet Johanna genügend Eier für zwei Personen, deckte den Tisch und setzte sich ihm gegenüber. Erst in diesem Moment zog er ihr den gefüllten Teller weg, lud sich ihre Portion auf seinen Teller und aß alles auf. „Heute nicht“, meinte er nur. „Ich weiß, du hast Hunger, aber so ist es besser für dich. So lernst du schneller, worauf es ankommt.“
Wenn er gewusst hätte, dass sie nicht einmal Appetit bekommen hatte, als ihr der Duft von Schinken und Eiern in die Nase gestiegen war, hätte er sich gewiss eine andere, noch schlimmere Strafe einfallen lassen! Daher schaute sie ihn nur schweigend an und hoffte, genug Enttäuschung in ihren Blick legen zu können. Worauf er lächelte, ihre Wange streichelte und zufrieden war.
Kapitel 18
Wenig später zogen Eva und Uwe in die Wohnung neben ihnen ein, die identisch zu der ihren war, nur dass Eva und Uwe von ihrem Badezimmerfenster aus deutlich mehr vom Hafen sehen konnten.
Da Uwe quer durch die Stadt fahren musste, um zu seinem Arbeitsplatz zu kommen, verließ er die Wohnung schon um halb sechs in der Früh und kam erst spät abends nach zwanzig Uhr wieder zurück. Aber das machte ihm nichts aus. Er betrachtete die Arbeit in der Fabrik als Übergangslösung und suchte in jeder Wochenendausgabe des Sydney Morning Herald nach einem besseren Job. Eva hingegen bewarb sich in einer Reinigung im Spofforth Center, das nicht weit von ihrer Wohnung entfernt war und in deren Fenster sie auf einem Schild gelesen hatte, dass eine Aushilfe gesucht wurde. Die Besitzerin des Waschsalons war eine gebürtige Deutsche, eine mütterliche Rheinländerin mit stämmigen Beinen und ausladenden Hüften, die schon seit über zehn Jahren in Sydney lebte. Sie
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