Die Auswanderinnen (German Edition)
tratschte gerne und Eva gefiel ihr, weil sie so leutselig war. Eva bekam die Stelle und kündigte daraufhin ihre alte Stelle. Sie lernte schnell die wichtigsten englischen Begriffe, die sie für die Annahme der Kleidungsstücke und die anfallenden Schreibarbeiten kennen musste. Bald darauf begann sie auch die monatliche Abrechnung zu übernehmen. Es war fast wie in Deutschland, auch wenn sie dort natürlich nie in einer Wäscherei gearbeitet hätte. In ihren Briefen nach Hause erzählte sie deshalb immer von ihrer anspruchsvollen Büroarbeit für die Zentrale einer großen Reinigungsfirma.
Ihre Arbeitszeit war um fünf Uhr beendet; die Besitzerin kam immer um halb fünf, plauderte eine Weile mit Eva, zählte das Geld in der Kasse und übernahm dann, bis der Laden um neunzehn Uhr schloss. Vom Geschäft bis zur Wohnung in der Spofforth Street war es nur ein zehnminütiger Fußmarsch, und obwohl Eva unterwegs noch ihre Besorgungen erledigte, war sie jeden Tag bereits vor sechs Uhr zu Hause. Dann putzte sie die kleine Wohnung, kochte das Abendessen, das sich Uwe aufwärmen würde, aß selbst etwas und langweilte sich. Es gab für sie kaum einen Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit. Wenn sie so untätig dasaß und aus dem Fenster auf den perfekt geschwungenen Bogen der Harbour Bridge blickte, wurde sie schwermütig. Sie wollte die Zwiebelkuppen der Marienkirche sehen, nicht dieses düstere Stahlgerüst, von dem alle so schwärmten. Sie sehnte sich nach den Schäfchenwolken des bayerischen Himmels, wenn sie beobachtete, wie die tief hängenden Regenwolken vom Meer über die Stadt hereinzogen. Und sie konnte sich nicht daran gewöhnen, dass es jetzt, im November, noch immer so warm und schwül war und es an Weihnachten sogar noch heißer sein würde.
Johanna war ebenfalls immer schon sehr früh zu Hause. Sie musste um fünf Uhr morgens ihren Dienst im Altenheim antreten und war deshalb bereits um drei Uhr nachmittags zurück. So kam es, dass Eva und Johanna mehr Zeit miteinander verbrachten als ihre Männer, die erst spät von der Arbeit zurückkamen. Wenn Eva mit ihrem Hausputz fertig war, machte sie öfter mal Kaffee, klingelte bei Johanna und überredete sie auf einen Kaffee zu ihr herüberzukommen.
Das war für beide dann die beste Zeit des Tages. Sie setzten sich an die hohe Frühstücksbar, schenkten sich frischen Kaffee ein und unterhielten sich über alles Mögliche. Immer bei Eva, nie in Johannas Wohnung. Kurt würde das nicht mögen, wenn er nicht dabei sei, hatte Johanna ihr gleich zu Beginn erklärt.
„Das ist doch albern“, hatte Eva daraufhin erwidert, „ich bin doch schließlich keine Fremde!“ Sie hatte es Uwe erzählt und sich darüber mokiert, aber Uwe hatte Kurt natürlich sofort in Schutz genommen und sie gebeten, den Willen ihres Freundes zu respektieren. Überhaupt, immer dieses Gerede über Respekt! Uwe entwickelte sich zu einem ausgesprochenen Langweiler. Alles musste man respektieren! Man war Ausländer im Land, deshalb musste man sich anpassen. Vielleicht war er von der langen Arbeit aber auch nur zu müde, um mit ihr zu reden und sich mit ihren Problemen auseinander zu setzen. Sie wollte sich ja wirklich nicht permanent beklagen, aber ihr wurde täglich mehr bewusst, wie groß der Unterschied zwischen ihrem jetzigen und ihrem früheren Alltag in Deutschland war.
Johanna war wenigstens eine gute Zuhörerin. Mit ihr konnte Eva über all diese Dinge reden und ihr dabei ihr Leid klagen. Johanna widersprach ihr nie. Alles war schließlich so anders, so ungewohnt, seltsam, und schwierig – mit welchen Worte Eva das hiesige Leben auch immer belegte, Johanna nickte dazu und signalisierte damit, dass sie Evas Sorgen verstand, auch wenn sie diese nicht teilte. Sie selbst wäre ganz zufrieden, meinte sie manchmal, wenn Eva sie drängte, sich doch ebenfalls einmal ihren Frust von der Seele zu reden. Nein, nichts störte Johanna an diesem Land und an diesen Leuten, nichts regte sie auf.
„Deine Ruhe möchte ich haben!“, meinte Eva bei einer ihrer einseitigen Diskussionen. „Ärgert es dich etwa nicht, dass es hier kein vernünftiges Brot zu kaufen gibt?“
„Eigentlich nicht“, antwortete Johanna.
„Du vermisst es kein bisschen?“
Johanna schüttelte den Kopf.
„Geht dir wirklich überhaupt nichts ab?“, bohrte Eva weiter.
Da sah Johanna plötzlich tieftraurig aus. „Ach weißt du, unser ganzes Leben hat sich doch so sehr verändert.“
„Was soll denn das für ein
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