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Die Auswanderinnen (German Edition)

Die Auswanderinnen (German Edition)

Titel: Die Auswanderinnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: helga zeiner
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wenn sie miteinander telefonierten, sprachen sie nicht mehr ganz so oft über die Vergangenheit und Evas Stimme hatte den weinerlichen Tonfall verloren, mit dem sie ihrer Sehnsucht nach Deutschland stets Ausdruck verliehen hatte. Sie klagte nicht länger über die Dinge, die sie nicht haben konnte: Hochglanz-Zeitschriften mit Prominentenklatsch. Dunklen, duftenden Bohnenkaffee, der langsam durch einen Melitta-Kaffeefilter lief. Gute Schokolade, die süß und cremig braun war, und nicht dunkel und geschmacklos, überzogen mit einem weißlichen Film, der durch eine zu kalte Lagerung zustande kam. Fachgeschäfte, in denen man unter Hunderten von Stoffen und Garnen aussuchen konnte. Oder Teesorten. Oder Bücher ...
    Vermissten sie all diese Dinge wirklich weniger oder fanden sie nach und nach einen zufriedenstellenden Ersatz für sie in dieser großen, behäbigen Stadt, die ihnen anfänglich so unübersichtlich und fremd vorgekommen war? Hatten sie inzwischen vielleicht einfach nur gelernt, ihre Ansprüche den Gegebenheiten vor Ort anzupassen?
    Vielleicht hatte Isabellas Boss in der Exportfirma ja aus Erfahrung gesprochen, als er ihr gesagt hatte, dass fast alle Einwanderer mindestens drei Jahre brauchten, bis sie sich hier heimisch fühlten, sich an die geänderten Jahreszeiten gewöhnten, an die fremde Sprache und Umgebung. Er war in Holland geboren, und Isabella hatte ihn nie danach gefragt, wie lange er schon hier war. Aber er kam oft auf die Unterschiede zwischen den beiden Kontinenten zu sprechen, allerdings stets in positivem Sinn, denn er war ein Mensch, der die guten Seiten Australiens schätzen gelernt hatte, die Freiheit und Ungezwungenheit des Alltags, die konventionslose Form im Berufsleben, die Herzlichkeit der Australier. Er war ein geduldiger, einfühlsamer und toleranter Mensch. Verheiratet und treu. Das komplette Gegenteil von Hal.
    Über zwei Jahre waren nun seit ihrer Ankunft vergangen - vielleicht gewöhnte sie sich tatsächlich an die Stadt. Sydney war für sie nun nicht mehr das unüberschaubare Gewirr vorstädtischer Straßenzüge, die alle irgendwann in Sackgassen endeten, begrenzt auf beiden Seiten von zaunlosen Rasenflächen, die permanent gesprenkelt wurden, und zuckergussfarbenen Holzhäusern mit pseudo-viktorianischen Erkern und Sprossenfenstern. Eine Stadt, von der sie gedacht hatten, sie hätte keinen inneren Kern, sondern nur tausend Vororte mit unaussprechlichen Namen, die ohne Auto unerreichbar waren. Sydney hatte eben doch ein Zentrum, die Pitt Street und die parallel zu ihr verlaufende George Street, das Opernhaus, die Harbour Bridge und die Fähranlegestelle. Das war das Zentrum, der Mittelpunkt des städtischen Lebens, den sie im ersten Jahr einfach nicht für sich entdeckt hatten. Doch seit Isabella nicht mehr auf der Nordseite des wunderschönen Naturhafens arbeitete und deshalb jeden Tag ans andere Ufer übersetzen musste, lief sie nach der Arbeit die Pitt Street hinunter, um mit der Cremorne Fähre zurückzufahren. Entgegen ihrer ursprünglichen Absicht hatte sie sich nun doch gegen den Kauf eines Autos entschieden, weil sie den stockenden Verkehr, der zu Stoßzeiten die Brücke blockierte und für unglaublich lange Fahrtzeiten sorgte, nicht ertragen konnte. Stattdessen genoss sie es, in der frischen Seeluft auf der Außenbank eines behäbigen Kutters zu sitzen, der viel wendiger und schneller war, als sie vermutet hatte, und den Booten zuzusehen, die gegen Abend ihre Regatten segelten.
    Isabellas Büro war klimatisiert, weil es über kein Fenster verfügte, und manchmal glaubte sie, in einer unnatürlichen, entfremdeten Welt zu leben, abgesehen von den kurzen Augenblicken, die sie auf der Fähre verbrachte. Zu Hause angekommen, wurde ihre Welt allerdings noch surrealer, denn Dieter befand sich auf einem Künstlertrip, der seit ihrem Jobwechsel immer abgehobenere und absurdere Formen annahm. Anscheinend hatte er sie früher als Konkurrentin angesehen, solange sie noch in „seiner Branche“ beschäftigt gewesen war. Jetzt war sie nur noch eine Büroangestellte, die sich mit unkreativem, gutbürgerlichem Geschäftskram abmühen musste, während er der sensible Fotograf war, der das Einerlei ihres Alltags nur schlecht ertragen konnte. Um dies auch angemessen zum Ausdruck zu bringen, führte er sich ihr gegenüber wie ein Pascha auf. Zu den Schikanen, die er sich ausdachte, um sie auf ihre Position als Handlanger zu verweisen, klebte er ihr kleine Zettel mit Einkaufslisten oder

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