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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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waren vom gleichen Schlage gewesen und hatten denselben Sprachgebrauch. Der Marktfahrer war so spät in das Krankenhaus und in das Sterbezimmer hereingekommen, daß er nicht einmal mehr ein Nachtmahl erhielt, auf welches er Lust gehabt hatte. Kaum war er in seinem Bett, hatte die Nachtschwester das Licht ausgedreht, und wahrscheinlich war der Neuangekommene auch urplötzlich erschöpft gewesen, denn von diesem Moment an hatte ich nichts mehr von ihm gehört, während er gerade noch davon gesprochen hatte, daß er nicht wisse, warum er jetzt aufeinmal hier sei. In der Früh hatte er es in seinem Bett nicht mehr ausgehalten und war, noch bevor er dazu aufgefordert worden war, aufgestanden und, wie mir schien, völlig unmotiviert auf den Gang hinausgegangen. Diese Augenblicke der Abwesenheit des Marktfahrers aus Mattighofen hatte der Gastwirt aus Hofgastein dazu benützt, sich nach der Krankheit des Marktfahrers zu erkundigen. Der Gastwirt ergriff die auf dem Nachtkästchen neben seinem Bett abgelegte Fiebertabelle des Marktfahrers und tat so, als studierte er sie. Mit einem tiefen Seufzer, in welchem Entsetzen und eine bis zur Schadenfreude hinaufgesteigerte Infamie gewesen waren, legte der Gastwirt die Fiebertabelle, auf welcher die Krankheit des Marktfahrers in Stichwörtern verzeichnet gewesen war, wieder auf dem Nachtkästchen ab. Als der Marktfahrer, wahrscheinlich auf Anordnung der jetzt schon dienstmachenden Tagschwester, wieder in das Sterbezimmer hereingekommen war, hatte ihn der Gastwirt aus Hofgastein, wie wenn er jetzt alles über den Marktfahrer in Erfahrung gebracht hätte, mit einem gleichzeitig bösartigen und schadenfrohen Schweigen empfangen und ihn dann heuchlerisch gefragt, ob er eine gute Nacht gehabt habe. Tatsächlich war gerade diese Nacht eine der wenigen ruhigen ohne auffallende Zwischenfälle gewesen, und der Marktfahrer meinte, eine gute. Daraufhin erzählte er dem Gastwirt einen Traum, den er, der Marktfahrer, in der Nacht geträumt habe, wovon ich aber nichts verstand. Jetzt werde er sich waschen, sagte der Marktfahrer, und er schlüpfte aus dem Nachthemd und trat an das Waschbecken. Eine Zeitlang beobachtete ich die Umständlichkeit, mit welcher sich der Marktfahrer wusch, dann interessierte mich offensichtlich der Vorgang nicht mehr, und ich hatte nicht mehr hingeschaut. Plötzlich hörte ich ein entsetzliches Geräusch, und ich schaute augenblicklich zum Waschbecken hin. Der Marktfahrer war tot über dem Waschbecken zusammengebrochen, und sein Kopf war an der Kante des Waschbeckens aufgeschlagen. Da ich mich augenblicklich nach dem Waschbecken umgedreht hatte, war noch Folgendes zu sehen gewesen: der Körper des Marktfahrers zog den Kopf des Marktfahrers aus dem Waschbecken heraus und ließ ihn hart auf dem Fußboden aufschlagen. Der Marktfahrer war, während er sich gewaschen hatte, vom Schlag getroffen worden. Der Gastwirt hatte jetzt seinen Triumph. Er berichtete, daß er den Tod des Marktfahrers schon vorausgesehen habe, nachdem er einen Blick auf die Fiebertabelle des Marktfahrers geworfen hatte. Der Gastwirt aus Hofgastein hatte mit hocherhobenem Kopf und mit weit auf seinem Leintuch ausgestreckten Armen und mit so weit als möglich gespreizten Fingern die Bergung und den Abtransport des Marktfahrers aus Mattighofen beobachtet. Ich selbst war über diese Szene erschrocken gewesen und sehe sie immer wieder. Es war das erstemal gewesen, daß ich einen Menschen, der gerade noch geredet hatte und noch dazu auf die unbeschwerteste Weise geredet hatte, plötzlich tot vor mir liegen gesehen habe. Dieser war der einzige gewesen, den ich im Sterbezimmer erlebt habe, der seinen unmittelbar bevorstehenden Tod überhaupt nicht vorausgesehen hatte. Der Gastwirt aus Hofgastein mußte ihn, den Marktfahrer aus Mattighofen, um diesen so anschaulich und so urplötzlich abrupt vorgeführten Sterbevorgang beneidet haben. Jeder, der den Marktfahrer aus Mattighofen vor uns unmittelbar nach seinem Tode gesehen hatte, mußte ihm seinen Tod geneidet haben. Die Wachen hatten dem Marktfahrer seinen Tod sicher geneidet, die andern hatten ihn gar nicht wahrgenommen. Den Schwestern und den Ärzten war der Marktfahrer, bevor er noch in ihre Leidens- und Qualmaschine hineingeraten war, entkommen. Es hatte sich gar nicht ausgezahlt, daß sie ihm ein Bett hergerichtet und eine Fiebertabelle angelegt hatten, mochten die Schwestern gedacht haben. Nichts neiden die mit Sicherheit Sterbenden mehr als einen solchen

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