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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Methode, die mir die stete und unnachgiebige Annäherung an mein Ziel, gesund zu sein, ermöglichte. Die plötzlich durch den Tod des Großvaters klargewordene Tatsache, allein zu sein, hatte alle Lebenskräfte in mir sich auf dieses Ziel, gesund zu sein, konzentrieren lassen. Es war, so hatte ich aufeinmal gesehen, nicht nur möglich, sondern ein vorher nicht gekannter, unglaublicher Existenzantrieb gewesen, allein zu sein und aus sich selbst heraus weiterzugehen. Der Tod des Großvaters, so entsetzlich er sich gezeigt und sich auf mich auswirken hatte müssen, war auch eine Befreiung gewesen. Zum erstenmal in meinem Leben war ich frei und hatte mir diese plötzlich empfundene totale Freiheit in einem, wie ich heute weiß, lebensrettenden Sinne nützlich gemacht. Von dem Augenblick dieser Erkenntnis und ihrer praktischen Anwendung an hatte ich die Auseinandersetzung mit meiner Krankheit gewonnen. Ich hatte absolut das Gefühl, gerettet zu sein von dem Moment an, in welchem ich die Möglichkeiten des vollkommenen Alleinseins erkannt und zu meinem Besitz gemacht hatte. Zuerst hatte ich die Entscheidung treffen, dann die Erkenntnis anwenden und schließlich die Vernunft einsetzen müssen. Eine zweite Existenz, ein neues Leben, und zwar ein solches, in welchem ich vollkommen auf mich selbst angewiesen war, stand mir offen. Vielleicht oder gar wahrscheinlich, war mein Gedanke gewesen, hatte ich diese Chance allein durch den Tod des Großvaters. Ich will diese Spekulation nicht erweitern. Die Schule meines Großvaters, in die ich, ich kann sagen, von meiner Geburt an, gegangen war, war abgeschlossen gewesen mit seinem Tod. Er hatte mich, indem er plötzlich tot war, aus seinem Unterricht entlassen. Es war eine Elementarschule, schließlich eine Hochschule gewesen. Ich hatte jetzt, so mein Eindruck, ein Fundament, auf welchem meine Zukunft aufgebaut werden konnte. Ein besseres Fundament hätte ich nicht haben können. Während ich, freilich nicht ahnungslos, aber doch ohne Gewißheit, tagelang über die Abwesenheit meines Großvaters und über die Ursache dieser Abwesenheit in einem fortwährend niedergeschlagenen und naturgemäß hoffnungslosen Zustand unter meiner Bettdecke in einer tiefen Verzweiflung gewesen war, waren die Meinigen längst mit dem Tod des Großvaters konfrontiert gewesen und hatten sich um sein Begräbnis kümmern müssen. Alle mit diesem Begräbnis zusammenhängenden Notwendigkeiten hatte mein Vormund übernommen, der von ihnen allen noch den klarsten Kopf gehabt hatte. Ausdrücklicher Wunsch meines Großvaters war es gewesen, auf dem Maxglaner Friedhof begraben zu werden, der zu dem Zeitpunkt seines Todes, neunzehnhundertneunundvierzig, noch ein kleiner, weit außerhalb der Stadt gelegener Dorffriedhof gewesen war. Er war, auch mit mir, sehr oft auf diesem Friedhof spazierengegangen. Von den kirchenbehördlichen Schwierigkeiten, die seinem Begräbnis auf dem Maxglaner Friedhof im Wege gestanden waren, habe ich schon an anderer Stelle berichtet. Der Nachruf auf meinen Großvater war von dem Chefredakteur des sozialistischen
Demokratischen Volksblatts
, Josef Kaut, geschrieben, von einem Mann, der später in meinem Leben noch eine entscheidende Rolle gespielt hat. Die Frage, ob es notwendig gewesen war, daß ich den Tod meines Großvaters aus der Zeitung erfahren hatte müssen, beschäftigte mich zeit meines Lebens, überhaupt die Umstände, unter welchen ich Kenntnis von seinem Tod erhalten hatte, daß es die Zeitung aus der Hand des Gastwirts aus Hofgastein hatte sein müssen und daß ich diesen Nachruf überhaupt in die Hand bekommen hatte. Meine erste Existenz war abgeschlossen, meine zweite hatte begonnen. Die Meinigen hatten sich nach der Katastrophe wieder auf ihre eigenen Positionen und Probleme zurückgezogen, mit der Besserung meines Zustandes hatten sie in ihrer Konzentration auf mich nachlassen und sich tatsächlich beruhigen können. Um mich brauchten sie keine Angst mehr zu haben, der mich betreffende Optimismus der Ärzte ihnen gegenüber war durch das, was sie an mir selbst hatten beobachten können, zweifellos einen erstaunlichen Genesungsfortschritt, sehr gut abgestützt gewesen. Zu lange hatten sie ihre ganze Aufmerksamkeit von sich selbst ablenken und den beiden Kranken aus ihrer Mitte zuzuwenden gehabt, jetzt konstatierten sie die Verwahrlosung, in welche sie dieser monatelange Zustand gestürzt hatte. Auch sie waren sich plötzlich allein und verlassen und, wie meine Mutter es

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