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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Zukunft nachdenken und dieses Nachdenken zu einer tatsächlichen intellektuellen Spekulation machen zu können, so intensiv und so einträglich Gebrauch gemacht wie hier. Die Ereignisse und Geschehnisse in Großgmain waren aufeinmal mehr die vergangenen Ereignisse und Geschehnisse im Salzburger Krankenhaus, nicht die gegenwärtigen, die letzten Endes unbedeutend und mit den vergangenen nicht vergleichbar waren, jedenfalls in den ersten Tagen und Wochen in Großgmain, in welchen ich nicht aus dem Zimmer hinausgekommen war. Erst nach zwei Wochen Aufenthalt, in welchen ich mich ja auch an die Luftveränderung hatte gewöhnen müssen, war ich befähigt gewesen, aufzustehen und meine neue Umgebung außerhalb des Zimmers in Augenschein zu nehmen. Der Ort war, direkt an der bayrisch-österreichischen Grenze gelegen, die von einem an manchen Stellen reißenden Gebirgsbach markiert war, die meiste Zeit düster und alles eher als freundlich, und er ist sicher auch einer der kältesten Gebirgsorte, die sich vorstellen lassen. Ein paar um die Kirche, die ich von meinem Fenster aus sehen, und um den Friedhof, in welchen ich von eben diesem Fenster aus hatte hineinschauen können, zwischen mehrere Vorgebirgshügel hineingebaute Bauernhäuser, ein paar Wirtshäuser, die alle von dem wahrscheinlich um die Jahrhundertwende gebauten Hotel Vötterl überragt wurden, sonst nichts. Alles in allem aber ein Ort für Kranke, vornehmlich an der Lunge und überhaupt an den Atmungsorganen Kranke, und genau das war sicher auch die Ursache für die Entscheidung gewesen, das Hotel Vötterl zu einem, wie die amtliche Bezeichnung genau lautete,
Erholungsheim für an den Atmungsorganen Erkrankte
zu machen. Der Krieg und seine Folgen hatten das Hotel Vötterl als Hotel zu einem Unsinn, die Landesregierung hatte es aus diesem Grunde zu einer Dependance ihres Krankenhauses gemacht. Daß das Hotel Vötterl aber tatsächlich nicht nur ein Erholungsheim, in welchem sich alle in ihm untergebrachten Patienten auch wirklich erholten, sondern auch ein Endpunkt für viele in ihm abgesetzte Existenzen gewesen war, hatte ich erst nach und nach in Erfahrung gebracht. Es war, worauf ich von meinem Zimmergenossen schon bald aufmerksam gemacht worden war, auch für sogenannte
schwere
Fälle Aufenthaltsort, und zum Großteil waren jene hier untergebracht gewesen, die im Krankenhaus in der Stadt auch nach längerem Aufenthalt nicht gestorben waren und einzig und allein zu dem Zwecke ihres Sterbens nach Großgmain gebracht worden waren. Es waren
die aufgegebenen Fälle
, für welche in medizinischer Hinsicht nichts mehr zu machen gewesen war. Zum einen waren die Patienten im Hotel Vötterl diese Aufgegebenen, zum anderen, wie ich dann selbst gesehen hatte, jene meistens Jüngeren, die man tatsächlich zu Heilungszwecken nach Großgmain geschickt hatte. Aber von den Aufgegebenen hatte ich lange Zeit nichts gesehen. Es war klar, daß die meisten von ihnen ihre Zimmer nicht mehr verlassen konnten, wenigstens nicht lebend, und ich sie schon aus diesem Grunde zuerst nicht zu Gesicht bekommen hatte. Mein Architekturstudent hatte mich eines Tages, wahrscheinlich, weil er den Zeitpunkt dazu für geeignet hielt, auf das Folgende aufmerksam gemacht: er zeigte mir vom Fenster aus mehrere frische und weniger frische einfache Erdhügel auf der rückwärtigen Seite des Friedhofs. Ein Schneetreiben hatte für diese Szene, wie er vielleicht geglaubt hatte, den richtigen Hintergrund abgegeben. Diese Erdhügel, so mein Architekturstudent, seien die Gräber jener, die in der letzten Zeit im Hotel Vötterl gestorben seien, elf oder zwölf Erdhügel hatte ich festgestellt, aber wahrscheinlich waren noch mehrere von der Kirchenmauer verdeckt. Jedes Frühjahr werden, so mein Zimmergenosse, diese Erdhügel um ein paar neue vermehrt, solange er im Vötterl sei, habe er schon viermal ein Begräbnis vom Fenster aus beobachten können. Diese schweren Fälle existierten für die leichteren im verborgenen. Man erhalte nur, indem man vom Fenster aus auf den Friedhof hinunterschaue, von ihnen Kenntnis. Er sei eines Tages von selbst auf den Zusammenhang zwischen den schweren Fällen im Hause und den sich vermehrenden Erdhügeln auf dem Friedhof unten gekommen. Er selbst habe noch vor drei Wochen mit einer Schauspielerin, die einmal eine
berühmte
Schauspielerin gewesen sei, in ihrem Zimmer Karten gespielt, hatte er gesagt und auf den vorletzten Erdhügel gezeigt, unter welchem seine Kartenpartnerin

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