Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
hatte Gitarre gespielt. Die Musikalität konnte ich nur von ihr ererbt haben. Die sogenannte
höhere
oder gar
hohe
Musik war ihr aber zeitlebens verschlossen gewesen. Sie hatte, um nicht unter seiner unerbittlichen und unmäßig harten und absoluten Strenge und Herrschaft zugrunde gehen zu müssen, sich schon als junges Mädchen von meinem Großvater trennen und einen eigenen, oft, wie ich weiß, sehr nahe an den Abgründen des Lebens vorbeiführenden Weg gehen müssen. Das Kind, das der Vater in seinem lebenslänglichen
Kunstwillen
nicht in die gewöhnliche, sondern in die hohe Wiener Ballettschule geschickt hatte, um es als Tänzerin an der Hofoper ausbilden und eine Ballerinenkarriere machen zu lassen, und welches diesem ihm von seinem ehrgeizigen Vater aufgezwungenen Ballettmartyrium nur durch eine plötzlich und heftig ausgebrochene Erkrankung hatte entkommen können und das schließlich dem Vater zuliebe sehr oft die eigene, letzten Endes schwache und hilflose Existenz aufs Spiel gesetzt hatte in allen möglichen geldeinbringenden Beschäftigungen allein zur Erhaltung seiner Eltern, hatte sich aber dem Einfluß des wie nichts sonst verehrten Vaters, meines Großvaters, niemals entziehen können. Sie war tatsächlich, wie sie selbst sagte, ihrem Vater
hörig
gewesen, und ihre Liebe zu ihm war von ihm niemals in der gleichen Intensität erwidert worden, woran sie ihr Leben lang zu leiden gehabt hatte. Mein Großvater war kein guter Vater seiner Kinder gewesen, er hatte überhaupt keinerlei ernsthafte Beziehung zu seiner Familie gehabt und haben können, wie er nie ein Zuhause gehabt hatte, denn sein Zuhause war immer nur sein Denken gewesen, und seine Familie waren die großen Denker, in welchen er sich geborgen, gut aufgehoben fühlte wie nirgends sonst, wie er einmal gesagt hat. An einem hellen, eiskalten Wintertag Anfang März gegen Mittag war ich in einem weißen, dem Krankenhaus gehörenden Wagen nach Großgmain gebracht worden, auf einer Bahre, mit drei warmen Wolldecken zugedeckt. Durch das weitgeöffnete Krankenhaustor hinaus auf die Müllner Hauptstraße und über den Aiglhof, knapp an unserer Wohnung vorbei durch Maxglan, wie mir, ohne daß ich das tatsächlich hätte sehen können, vorgekommen war, nach Wartberg hinauf, an Marzoll vorbei, gegen den Untersberg, war diese Fahrt der Abschluß einer Periode gewesen, in welcher ich mein erstes und altes Leben, meine erste und alte Existenz abgeschlossen und, meiner wahrscheinlich wichtigsten Entscheidung gehorchend, mein neues Leben und meine neue Existenz angefangen hatte. Diese Entscheidung bestimmt bis heute alles, was mich betrifft. Noch war ich nicht in die Welt entlassen, nur in eine andere, in guter Luft und also in waldreicher Gegend gelegene
Krankenverwahrung
. Ich erinnere mich, daß mich diese nur sechzehn Kilometer lange Fahrt total erschöpft und unfähig gemacht hatte, bei meiner Ankunft allein von der Bahre aufzustehen. Zwei für mich abkommandierte Pfleger hatten mich stützen müssen auf den paar Schritten vom Wagen in das Hotel Vötterl hinein. Ein Lift hatte mich und die Pfleger in den dritten Stock hinaufgebracht. Ich war in ein straßenseitiges Zimmer gekommen, von welchem ich direkt auf die Kirche und auf den darunter gelegenen Friedhof hatte blicken können, in ein Zweibettzimmer, in welchem ein junger Mann, wie ich sehr schnell erfahren hatte, ein Architekturstudent, lag. Kaum hatten sie mich auf mein Bett gesetzt, waren die Pfleger verschwunden gewesen, darauf war eine sogenannte weltliche Schwester in das Zimmer hereingekommen, mit Handtüchern und verschiedenen Papieren und mit einem Fieberthermometer, das ich sofort unter den Arm stecken mußte, und hatte mich gefragt, wo ich meine Sachen habe, aber ich hatte außer meinem Toilettebeutel keine. Obwohl ich ihr gesagt hatte, daß ich keine Kleider mitgebracht habe, öffnete sie einen von den zwei Kästen im Zimmer und zeigte mir, wo ich meine Kleider hineinhängen sollte. Es sei ja, hatte ich zu ihr gesagt, wenigstens in den nächsten Tagen noch nicht damit zu rechnen, daß ich aufstehen und gehen, geschweige denn aus dem Haus gehen könne, und also habe es Zeit, bis mir die Meinigen meine Kleider brächten. Im Bett liegend, hatte ich der danebenstehenden Schwester mehrere Fragen über meine Person zu beantworten. Mein Mitpatient hatte, was ich auf die Fragen der Schwester antwortete, mit größter Aufmerksamkeit mitangehört. Es hatte die Schwester irritiert, daß ich ihr nicht
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