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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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mit Sicherheit sagen hatte können, ob ich am neunten oder am zehnten Feber geboren worden sei, ich hatte, wie immer bei solchen Gelegenheiten,
am neunten oder am zehnten
gesagt, was sie aber nicht akzeptierte, und so hatte
sie
sich schließlich, warum, weiß ich nicht, für den zehnten entschieden und den zehnten in eines der Papiere hineingeschrieben. Ihre Verpflichtung war gewesen, mich mit einigen von ihr so genannten wesentlichen Punkten der Hausordnung bekannt zu machen. Bei dieser Gelegenheit war mir aufgefallen, daß sie mehrere Male ausdrücklich betont hatte, daß es mir, sie hatte immer
mir
, nicht
den Patienten
gesagt, daß es
mir
verboten sei, in den Geschäften des Ortes einzukaufen, Gasthäuser aufzusuchen und mit Kindern zu sprechen, und daß ich am Abend vor acht Uhr im Haus zu sein hätte, wo sie doch genau wußte, daß ich kaum gehen hatte können und ihr inzwischen auch bekannt gewesen war, daß ich nicht einmal Kleider zu meiner Verfügung hatte. Zu den Mahlzeiten hätte ich pünktlich zu erscheinen. Die Mahlzeiten würden auf dem Zimmer ausgegeben. Besuche seien nur während der Besuchszeit zugelassen. Ab neun Uhr abends habe Ruhe zu herrschen. Ich war durch diese Einführung in das Hotel sofort an das Internat in der Schrannengasse erinnert. Ich war sehr rasch ermüdet und ermattet gewesen und hatte keine Lust mehr, über die Gedankenlosigkeit dieser Schwester nachzudenken. Nachdem ich ihre Fragen beantwortet und sie sich damit schließlich zufrieden gegeben hatte, war sie aus dem Zimmer hinausgegangen, und ich hatte mich meinem Zimmergenossen zuwenden können, aber zu einer Unterhaltung mit diesem kam es nicht, ich war augenblicklich eingeschlafen. Minuten später war Essenszeit, und das Essen war auf einem Geschirrwagen aus Holz direkt aus dem Lift zu uns in das Zimmer hereingefahren und ausgeteilt worden. Jetzt, während der Mahlzeit, die ich nur unter äußerster Anstrengung, in meinem Bett sitzend, einnehmen hatte können, war Gelegenheit gewesen zu einer ersten Unterhaltung mit meinem Mitpatienten. Er war schon die dritte Woche in diesem Zimmer und glaubte, nach drei weiteren Wochen nach Hause gehen zu können. Er war, genau wie ich, aus der Ersten Internen, wie er sich ausdrückte, aber schon drei Wochen früher hierher gebracht worden. Er war, zum Unterschied von mir, ein Klassepatient und im Krankenhaus, zum Unterschied von mir, der ich in einem Zimmer mit sechsundzwanzig Betten untergebracht gewesen war, in einem Zweibettzimmer gelegen, und was er aus dem Krankenhaus berichtete, war allein dadurch vollkommen anders, ja in vielen, in den meisten Punkten geradezu entgegengesetzt dem, das ich berichtete, seine Erlebnisse waren vollkommen andere, wie auch die Ereignisse, die er erlebt hatte, vollkommen andere gewesen waren als die meinigen, denn er war die ganze Zeit mehr oder weniger von allen Geschehnissen und Ereignissen, die ich erlebt hatte, abgeschirmt gewesen durch die Tatsache, daß er, als Klassepatient, in einem Zweibettzimmer gelegen und durch diesen Vorzug von vornherein mit der tagtäglichen Masse der Fürchterlichkeit und des Schreckens in diesem großen Krankenhaus überhaupt nicht in Berührung gekommen war. Der Klassepatient, wenn er allein liegt, hat nur seine eigenen Leiden zu leiden, seine eigenen Schmerzen auszuhalten, und seine Beobachtung beschränkt sich auf die Beobachtung seiner eigenen, kranken Person und auch nur auf die Umwelt und Umgebung seiner eigenen, kranken Person, während der andere, der kein Klassepatient ist, in seine eigenen Leiden und in seine eigenen Schmerzen und in die Beobachtung der eigenen, kranken Person die Leiden und Schmerzen und die Beobachtung auch all jener einzubeziehen hat, die mit ihm sein Zimmer zu teilen haben, und im Falle meines neuen Zimmergenossen war es nur ein einziger anderer gewesen, in meinem Fall aber waren es fünfundzwanzig. So mußte, was ich aus dem Krankenhaus zu berichten gehabt hatte, naturgemäß etwas vollkommen anderes sein als das, was der Architekturstudent berichtete. Aber damit ist nicht gesagt, daß die Erlebnisse meines Mitpatienten, mit welchem ich mich sehr schnell angefreundet hatte, weniger tief auf ihn eingewirkt hätten als die meinigen auf mich und ihn weniger verletzt und verstört und zerstört hätten. Aber die Perspektive des sogenannten Klassepatienten ist naturgemäß immer eine andere als die des sogenannten gewöhnlichen, einfachen, welcher niemals auch nur das Geringste zu fordern hat und

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