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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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daran, das neue Unglück zu hintergehen. Einer verblüffend klaren Logik folgend, hatte ich mich gefügt und aufgegeben und unterworfen. Hier, wo die Menschen folgerichtig nach den ja gerade für sie bestimmten Schauerlichkeiten des Krieges absterben mußten, sich aufgeben mußten, aufhören mußten, wie ich denken mußte, gehörte ich hin, nicht in Auflehnung, nicht in Protest,
in die absterbende, in die gehende
Gesellschaft gehörte ich. Ich vertiefte mich in diesen für mich urplötzlich gar nicht absurden Gedanken und kam zu dem Schluß:
hier
will ich sein!
Wo sonst?
Und ich folgte der Chronologie des Absterbens und der Hölle. Ich hatte das Menschenelend angenommen und wollte es mir nicht mehr nehmen lassen, von nichts, von niemandem! Ich hatte die Abscheu und den Haß gegen Grafenhof und gegen die Zustände in Grafenhof abgelegt, den Haß gegen Krankheit und Tod, gegen die sogenannte Ungerechtigkeit. Nicht das
Hier
haßte ich jetzt, ich haßte das
Dort
, das
Drüben
und das
Draußen, alles andere!
Aber dieser Haß mußte sich bald erschöpfen, denn er rentierte sich nicht. Der
absurde Haß
war aufeinmal unmöglich geworden. Es war zu eindeutig, zu gerecht, was mir bevorstand nach den Gesetzen, die sich die Gesellschaft im Einvernehmen mit der Natur selbst geschaffen hatte. Warum sollte gerade ich, der Unsinnigste, der Überflüssigste, der Wertloseste in der Geschichte, glauben oder auch nur einen Augenblick lang in Anspruch nehmen dürfen, die Ausnahme von der Regel zu sein, davonzukommen, wo Millionen ganz einfach nicht davongekommen waren? Ich hatte jetzt, so mein Gedanke, den direkten Weg durch die Hölle und in den Tod zu gehen. Ich hatte mich damit abgefunden. Ich hatte mich die längste Zeit aufgelehnt dagegen, jetzt lehnte ich mich nicht mehr auf, ich fügte mich. Was war mit mir geschehen? Ich war einer Logik verfallen, die ich als die für mich richtige und einzige betrachten und jetzt existieren mußte. Aber diese Logik hatte ich gleich wieder gegen die ihr entgegengesetzte eingetauscht, ich betrachtete auf einmal alles wieder hundertprozentig verkehrt. Mein Standpunkt war
um alles
geändert. Ich lehnte mich heftiger denn je auf gegen Grafenhof und seine Gesetze, gegen die Unausweichlichkeit! Ich hatte meinen Standpunkt wieder am radikalsten geändert, jetzt
lebte
ich wieder hundertprozentig, jetzt
wollte
ich wieder hundertprozentig leben, meine Existenz haben, koste es, was es wolle. Ich verstand den, der ich zwölf Stunden vorher gewesen war, nicht mehr, der gerade noch das Gegenteil von dem gedacht hatte, was
jetzt
meine Meinung und mein Standpunkt gewesen war. Wie hatte ich soweit kommen können, aufzugeben? Mich zu fügen? Dem Tod einfach auszuliefern? Ich hatte wieder einmal völlig falsche Schlüsse gezogen. Aber, so dachte ich, ich habe ganz in
meinem
Sinne gehandelt, so war und so ist mein Wesen, so wird es sein, hatte ich gedacht. Aufeinmal hatte, was ich um mich herum anschaute, betrachtete, eindringlicher denn je beobachtete, wieder die schrecklichen, abstoßenden Züge. Zu diesen Menschen gehörte ich nicht, ich war ganz einfach nicht so wie sie, diese Zustände waren nicht die meinigen, und sie durften ganz einfach nicht die meinigen sein. Plötzlich war alles in den letzten Tagen Gedachte und aus diesem heraus Unternommene lächerlich, absurd, ein Irrtum. Wie konnte ich glauben, dahin zu gehören, wo die Fäulnis und die absolute Hoffnungslosigkeit die Seele abwürgten, das Gehirn abtöteten? Wahrscheinlich war es mir leichter gewesen, mich ganz einfach fallenzulassen, als mich aufzulehnen, dagegen zu sein, so einfach ist die Wahrheit. Wir geben oft nach, geben oft auf, der Bequemlichkeit willen. Aber um den Preis des Lebens, der
ganzen
Existenz, von welcher ich ja nicht wissen konnte, wieviel wert sie im Grunde war und vielleicht noch einmal sein wird, selbst wenn ich weiß, daß das Grübeln darüber sinnlos ist, weil am Ende dieser Grübelei die Sinnlosigkeit triumphiert, die absolute Wertlosigkeit, davon abgesehen. Das Einzelne ist nichts, aber Alles ist alles. Ich hatte die Bequemlichkeit, das Niedrige des Anpassens und Aufgebens gewählt, anstatt mich dagegenzustemmen, einen Kampf aufzunehmen, gleich, wie er ausgehen wird. Aus Bequemlichkeit und aus Feigheit hatte ich mir ein Beispiel an jenen Millionen genommen, die in den Tod gegangen waren, aus was für einem Grund immer, und mich nicht gescheut, auf die schamloseste Weise selbst die Opfer des letzten Krieges für meine

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