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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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einem bösartigen Blick gegen mich, es war nichts anderes als eine Drohung. Nun war (des Professors Küchenzettelstreit war die Ursache!) mein frisch angelegter Pneu verpfuscht, und es mußte etwas Neues gefunden werden. Man würde mir ein sogenanntes
Pneumoperitoneum
anlegen, einen Bauchpneu, der über dem Nabel in Körpermitte gefüllt wird und auf beide Lungenflügel gleichzeitig von unten herauf drückt, ein Unikum damals, eine noch kaum erprobte Errungenschaft, von welcher ich selbst in Grafenhof noch nichts gehört hatte. Der Professor hatte mir mit einem lächerlichen Telefonat meinen Pneu ruiniert, mich in eine jedenfalls sehr gefährliche Lage gebracht. Das Pneumoperitoneum kann aber nur angelegt werden, wenn zuerst das Zwerchfell auf einige Zeit, auf Jahre mindestens, stillgelegt wird. Zu diesem Zwecke ist immer der sogenannte Phrenikus durchschnitten worden, das erforderte eine Operation, einen Aufschnitt über dem Schlüsselbein bei vollem Bewußtsein, denn während des Eingriffs muß die Verständigungsmöglichkeit zwischen Operateur und Patient gewährleistet sein. Schon in den nächsten Tagen würde die Phrenikusoperation vorgenommen werden, es handle sich um eine Phrenikus
quetschung
, keine Durchschneidung des Phrenikus, die Quetschung sei das Neueste, noch kaum angewendet, der Phrenikusnerv werde nur gequetscht, das Zwerchfell für Jahre stillgelegt, erhole sich aber dann wieder zum Unterschied von dem radikal und gänzlich durchschnittenen, eine Praxis, die bisher gehandhabt worden sei. Dieser Eingriff sei eine Kleinigkeit, wurde mir gesagt, keine Operation, nur ein Eingriff, eine medizinische Lächerlichkeit. Er selbst würde den Eingriff vornehmen, bestimmte der Primar. Mit Entsetzen hatte ich inzwischen festgestellt, daß es sich um denselben Primarius handelte, der die prallgefüllte und verstopfte Blase meines Großvaters mit einem Tumor verwechselt und so den Tod meines Großvaters auf dem Gewissen hatte. Ein paar Monate nach diesem Kunstfehler waren erst vergangen, aber ich hatte ja keine andere Wahl, als in alles einzuwilligen, was jetzt mit mir geschehen sollte, geschehen mußte. In Wirklichkeit hatte ich natürlich von der Lungenchirurgie nicht die geringste Ahnung haben können, woher auch, und ich hatte mich allem, das man jetzt mit mir vorhatte, zu fügen. Ich ließ alles mit der Gleichmütigkeit des Geschockten und Entsetzten geschehen. Ich war auch hier in der Lungenbaracke in einem großen Zimmer untergebracht, in welchem mindestens ein Dutzend Betten standen, die gleichen Eisenbetten, die ich schon von meinem ersten Aufenthalt in dem Krankenhaus auf der Internen Abteilung kannte. Alles kannte ich hier bereits, nur in die grausamen Spezialitäten der Lungenchirurgie hatte ich erst einzudringen. Dazu hatte ich hier die beste Gelegenheit. Die aus dem Krieg stammenden Baracken waren von den übrigen Gebäuden des sogenannten Landeskrankenhauses vollkommen isoliert, sie waren in einem verwahrlosten Zustand, auf den Gängen, die man nur mit vorgehaltenen Tüchern betreten konnte, weil der Gestank der Krebskranken derartig penetrant gewesen war, daß es unmöglich war, ihn direkt einzuatmen, waren Ratten keine Seltenheit, aber auch an diese fetten, blitzschnell über den Boden huschenden Tiere hatte man sich schnell gewöhnt. Ich weiß noch, daß ich neben einen jungen Mann gelegt wurde, zum Glück an ein großes Fenster, das beinahe immer offen war, der noch kurze Zeit vorher ein Radrennfahrer gewesen war, jetzt lag er, zwanzigjährig, mit zerstörter Lunge in seinem Bett und verfolgte Tag und Nacht den Verlauf der Risse an der Barackendecke. Er hatte mehrere internationale Rennen gefahren, bei seinem letzten war er zusammengebrochen und ins Spital eingeliefert worden. Er konnte nicht glauben, schwer lungenkrank und am Ende zu sein, war er doch noch Wochen vorher ein gefeierter sogenannter Spitzensportler gewesen. Er war aus Hallein gebürtig, seine Verwandten besuchten ihn, fassungslos seine traurige Entwicklung verfolgend. Ich hatte nicht die Absicht, diesem jungen Menschen die Illusionen zu nehmen, ich war entschlossen, ihm meine Kenntnisse vorzuenthalten. Er hatte geglaubt, das Krankenhaus bald wieder verlassen zu können, aber die Wirklichkeit hatte sich als furchtbar erwiesen: von einer Operation, zu welcher er eines Morgens abgeholt worden war, kehrte er nicht mehr zurück. Ich sehe noch seine Mutter die Habseligkeiten einpacken, die er in seinem Nachtkästchen zurückgelassen

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