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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Ganze werde ein blutige Angelegenheit. Ich wußte, daß der Assistent, Sohn eines Wiener Ministerialbeamten, langaufgeschossen, arrogant in jeder Beziehung, ängstlich und zimperlich war, wenn es darauf ankam. Er solle sich Mut machen und sich
mit seinem ganzen Körpergewicht auf mich werfen
und meine Bauchdecke durchstoßen, sagte ich, und ich erklärte ihm, wie es der Oberarzt im Salzburger Landeskrankenhaus gemacht hatte. Nun war der Assistent aber tatsächlich der Ungeeignetste für einen Gewaltakt zum Unterschied von dem athletischen Oberarzt in Salzburg, der sein Gewicht nur kurz anzudrücken brauchte, um die Nadel durch meinen Bauch zu stoßen, durch alle Bauchdecken gleichzeitig durch. Wie nicht anders zu erwarten, scheiterte der erste Versuch, und ich zuckte vor Schmerz zusammen, gleich schoß Blut aus der nutzlos aufgerissenen Wunde. Es blieb aber nichts anderes übrig, als die Füllung vorzunehmen. So war es zu einem zweiten Versuch gekommen, der so dilettantisch ausgeführt war, daß ich aufgeschrien habe und die Leute auf dem Gang draußen zusammengelaufen waren. Der Dilettant hatte nur ruckartig und nach und nach meine Bauchdecken durchstoßen können und mich ganz unnötig gequält. Wie wenn ihm die Prozedur geglückt wäre, stand er aber dann da und stellte befriedigt fest, daß Luft in meinen Bauch eindringen und sich verteilen konnte, der Mechanismus funktionierte, die Apparatur bestätigte das auf ihren Anzeigern, man hörte die Luft einströmen, und ich sah, wie der Assistent schon wieder seine vorübergehend abgelegte Arroganz in sein Gesicht zurückgeholt hatte. Dabei war er selbst am meisten darüber überrascht gewesen, daß ihm die Unternehmung geglückt war. Ich blieb eine Zeitlang liegen und wurde dann auf die Loggia zurückgebracht. Noch nie hatte ich nach der Füllung so stark geblutet, tagelang hatte ich Schmerzen in der Bauchdecke und befürchtete eine Entzündung, ich war gegen die medizinischen Instrumente mißtrauisch, die in Grafenhof verwendet wurden, denn die Reinlichkeit war hier kein Gebot. Aber es entwickelte sich keine Entzündung. Die Schmerzen flauten ab. Beim nächstenmal wird es klappen, sagte ich mir. Und von jetzt an klappte die Füllung. Einen solchen Bauchpneu könne ein Patient auch fünf oder mehr Jahre haben, war mir gesagt worden, und ich stellte mich darauf ein. Jedesmal nach der Füllung, wenn ich wieder selbständig stehen und gehen konnte, war ich hinter den Röntgenschirm gestellt und begutachtet worden. Nachdem ihm die weiteren Füllungen glückten, war der Assistent nicht ohne Stolz gewesen, er hatte seine Wissenschaft um eine Neuigkeit erweitert. Ich tat alles, um endlich einmal wieder aus dem Zimmer hinauszukommen, übte mich unablässig in einer Art von verzweifelter Selbstgymnastik, und tatsächlich war der Augenblick früher, als ich geglaubt hatte, gekommen, in dem ich ins Freie durfte. Ich machte einen Rundgang durch das Anstaltsgebäude, ich vergrößerte den Radius mit jedem Tag, ja war schon imstande, die äußersten Grenzen zu erreichen. Am liebsten wäre ich in den Ort hineingegangen, in
das Dorf
, wie wir sagten, aber das war den Patienten streng verboten. Eines Tages hielt ich mich nicht mehr an das Verbot und ging in das Dorf (St. Veit). Ich wurde von den Bewohnern zwar gemustert und natürlich auch gleich als Anstaltspatient erkannt, aber die Leute schienen den Anblick der Lungenkranken weder als sensationell noch als Bedrohung zu empfinden. Meine allgemeine Schwäche ließ mich, kaum hatte ich das Dorf betreten, wieder kehrtmachen, die Freiheit, sie war mir viel zu anstrengend, ich hatte keinen anderen Wunsch, als so bald als möglich wieder in der Anstalt und in meinem Zimmer zu sein, um mich unter meine Bettdecke verkriechen zu können. Aber ich war auf den Geschmack gekommen, und ich wiederholte meine Dorfexpeditionen, heimlich, in dem Bewußtsein, die fürchterlichste und folgenreichste Bestrafung durch die Anstaltsleitung zu riskieren, überschritt ich die Grenzen und machte im Dorf kleine Einkäufe, ich kaufte mir einmal einen Bleistift und Papier, ein anderes Mal einen Kamm, eine neue Zahnbürste, zu mehr hätten meine Finanzen nicht gereicht, die nur aus dem sogenannten Krankengeld bestanden, das die Fürsorge für mich bezahlte, nicht mehr die Krankenkasse, die mich längst
ausgesteuert
hatte, so der korrekte Begriff, auch meine Anstaltskosten waren zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr von der Krankenkasse, sondern von der Fürsorge

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