Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
hereingekommen ist in das Zimmer, als erstes nur den einen einzigen Gedanken gehabt, ob der Doktor nicht vielleicht schon tot ist, das Problem Doktor kein Problem mehr. Sie zog die Vorhänge auf und ging an die Arbeit, richtete die Handtücher her, ließ Wasser ein in das Waschbecken und hob den Doktor heraus und transportierte ihn zum Waschbecken. Ich dachte, daß ich
jetzt
viel lieber in dem großen Zwölferzimmer untergebracht gewesen wäre im zweiten Stock als hier auf der Loggia mit dem Doktor, ich sehnte mich nach dem Zwölferzimmer, denn die Loggia mußte ich ja als viel schlimmer empfinden, dort oben, im zweiten Stock, hatte ich mit Gleichaltrigen zusammengehaust, hier mit einem, wie mir schien, schon uralten, ausgelebten Menschen, dessen Häßlichkeit und Rücksichtslosigkeit sich von Stunde zu Stunde vergrößerte, andererseits empfand ich es als Auszeichnung, mit diesem Menschen zusammensein
zu dürfen
, mit dem Häßlichen, Abstoßenden, den ich ganz offen bewunderte, ja verehrte, weil er so war, wie er war, weil er der Abgestoßene, der Gehaßte, der Abgeschobene war. Es schien, als wartete alles darauf, daß der Doktor verschwinde, aber noch war es nicht so weit, sie mußten sich noch gedulden. Die Visite betrachtete den Doktor nur noch als lästig, ganz einfach nicht in das Konzept passend. Auch mit mir waren sie nicht glücklich, denn sie mußten wissen, daß ich wußte, daß sie mir nicht aus Unschuld, sondern aus Schuld eine Fehldiagnose gestellt und mich an den Rand des Ruins gebracht hatten, mich gerade in dem Augenblick als gesund entlassen hatten, in welchem ich ein großes Loch in der Lunge hatte, und sie hatten mich zurücknehmen müssen. Sie hatten zwei Gründe, mich mit dem Doktor zusammenzulegen, den ersten, daß ihnen mein Zustand tatsächlich als
gefährlich, bedrohlich, ja lebensbedrohlich
erschienen war, den zweiten, weil ihnen
meine Reserve, mein Mißtrauen, ja mein Haß gegen sie
nicht verborgen geblieben war, auch ich war in ihren Augen
ein Unduldsamer, ein Aufsässiger
. Es hat sechs oder sieben Loggien gegeben, die Hälfte davon war von den sogenannten Privilegierten belegt gewesen, die ich aber fast nie zu sehen bekommen habe, auf jeden Fall hatte ich immer den Eindruck, daß diese Leute eine panische Angst hatten, mit den übrigen Patienten, und also mit uns, in Berührung zu kommen, und es war ihnen die Peinlichkeit anzusehen gewesen, die sie empfunden hatten, weil sie die allgemeine Toilette auf dem Gang benutzen mußten. Sie waren besser gekleidet und bemühten sich um eine bessere Sprache, wenn sie sprachen, aber sie redeten beinahe überhaupt nichts, jedenfalls nicht mit meinesgleichen. Hier hörte ich immer wieder verschiedene Titel,
Herr Hofrat, Frau Hofrat, Herr Professor
und
Frau Gräfin
sind mir noch in Erinnerung. Die Schwestern huschten in einer mir widerwärtigen Feierlichkeit dort herum, wo diese Titel mit ihren Trägern hausten, abgeschirmt, in Ruhe gelassen, ja verwöhnt. Kamen die Schwestern von den Loggien der sogenannten besseren Leute zu uns, verfinsterten sich ihre Mienen, war ihre Redeweise eine vollkommen andere, eine nicht mehr um Vornehmheit bemühte, sondern nurmehr noch die rüde, gemeine, brutale. Ganz andere Speisen trugen sie in diese Zimmer, in einer ganz anderen, aufwendigeren Aufmachung. Dort klopften sie, bevor sie eintraten, an die Tür, an unsere Tür wurde nicht geklopft, einfach eingetreten. Eine Schwierigkeit hatte ich nicht vorausgesehen, obwohl sie mir hätte klar sein müssen: in Grafenhof hatten sie vor mir noch nie einen Bauchpneu gehabt, das Pneumoperitoneum kannten sie nur als Begriff, es war ihnen bis dahin nur in Schriften untergekommen, jetzt hatten sie die Bescherung. Ich selbst hatte Angst, als es soweit war, daß der Assistent mich füllen mußte, als der Zeitpunkt gekommen war, die Ordination aufzusuchen zu diesem Zweck. Er beteuerte, noch nie einen Bauchpneu gefüllt zu haben, wenn er auch inzwischen wisse, wie das zu geschehen habe. Es war mir nichts übriggeblieben, als dem Assistenten zu sagen, was er zu tun habe. Er bereitete unter meiner Anleitung die Apparatur vor, schob alles an mich heran, und ich wartete. Nichts geschah. Der Assistent getraute sich nicht. Jetzt mußte ich die Initiative ergreifen. Ich befahl ihm förmlich, die Nadel an meinem Bauch anzusetzen und dann
mit aller Gewalt
, so meine Worte, meinen Bauch zu durchstoßen. Er dürfe nicht einen Augenblick zögern, sonst seien die Schmerzen entsetzlich und das
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