Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
Vom Netzwerk:
ihrem jahrhundertealten Gefühls- und Geistesunrat als Unwissenheit zugeschüttet hatten. Wir dürfen, selbst auf die Gefahr, für verrückt gehalten zu werden, uns nicht scheuen, auszusprechen, daß unsere Erzeuger als Eltern das Verbrechen der Zeugung als das Verbrechen der vorsätzlichen Unglücklichmachung unserer Natur und in Gemeinschaft mit allen andern, das Verbrechen der Unglücklichmachung der immer noch unglücklicher werdenden ganzen Welt begangen haben, genauso wie ihre Vorfahren undsofort. Zuerst wird der Mensch, und der Vorgang ist ein tierischer, erzeugt und geboren wie ein Tier und immer nur animalisch behandelt, und sei es geliebt oder verhätschelt oder gepeinigt, von den durch und durch stumpfsinnigen unaufgeklärten, ihre egoistischen Zwecke verfolgenden Erzeugern als Eltern oder ihren Stellvertretern aus ihrem eigenen Mangel an tatsächlicher Liebe und Erziehungserkenntnis und- bereitschaft stumpfsinnig und egoistisch wie ein Tier gefüttert und behandelt und nach und nach in seinen hauptsächlichen
Gefühls-
und Nervenzentren eingeebnet und gestört und zerstört und dann, als eine der größten Vernichterinnen, übernimmt die Kirche (übernehmen die Religionen) die Vernichtung der
Seele
dieses neuen Menschen, und die Schulen begehen im Auftrag und auf Befehl der Regierungen in allen Staaten der Welt an diesen neuen jungen Menschen den
Geistes
mord. Jetzt war ich im Johanneum, so die neue Bezeichnung des alten Gebäudes, welches in der Zwischenzeit, die ich bei den Großeltern verbracht hatte, wieder beziehbar und, als nationalsozialistisches, zu einem streng katholischen gemacht worden war, in den wenigen Nachkriegsmonaten war das Gebäude
aus dem sogenannten Nationalsozialistischen Schülerheim in das streng katholische Johanneum
verwandelt worden, und ich war einer der wenigen im Johanneum, die auch schon im Nationalsozialistischen Schülerheim gewesen waren, und ich besuchte jetzt das Gymnasium und nicht mehr die Hauptschule, die sogenannte Andräschule, und anstelle des Grünkranz, der verschwunden, möglicherweise wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit inhaftiert, jedenfalls nicht mehr von mir gesehen war, hatte ein katholischer Geistlicher als Direktor, welcher von uns immer nur als
Onkel Franz
angesprochen worden ist, die Herrschaft über uns angetreten. Ein etwa vierzigjähriger Geistlicher war dem Onkel Franz als Präfekt zur Seite gestanden, und dieser gestochen Deutsch sprechende Präfekt hatte auf katholische Weise das Erbe des nationalsozialistischen Grünkranz angetreten, er war genauso gefürchtet und gehaßt wie der Grünkranz und er war wahrscheinlich ein ebensolcher uns alle abstoßender Charakter. Tatsächlich war an dem ganzen Gebäude nur das Notdürftigste gemacht und also in erster Linie der zur Hälfte vernichtete Schlafsaal wiederaufgebaut und das Dach repariert und die Fenster waren alle eingeglast worden und die Vorderfront des Gebäudes hatte einen neuen Anstrich erhalten, und wenn man aus dem Fenster schaute, schaute man anstatt auf die alte Schranne auf einen schon in vielen Unwettern abgesunkenen Schutthaufen und auf die Ruine der Andräkirche, an welcher sich noch nichts rührte, weil sich die Stadt nicht entschließen hatte können, die Kirche wieder so aufzubauen, wie sie gewesen war oder anders, oder gänzlich abzureißen, was das beste gewesen wäre. Im Innern des Internats hatte ich keine auffallenden Veränderungen feststellen können, aber aus dem sogenannten Tagraum, in welchem wir in Nationalsozialismus erzogen worden waren, war jetzt die Kapelle geworden, anstelle des Vortragspultes, an welchem der Grünkranz vor Kriegsschluß gestanden war und uns großdeutsch belehrt hatte, war jetzt der Altar, und wo das Hitlerbild an der Wand war, hing jetzt ein großes Kreuz, und anstelle des Klaviers, das, von Grünkranz gespielt, unsere nationalsozialistischen Lieder wie
Die Fahne hoch
oder
Es zittern die morschen Knochen
begleitet hatte, stand ein Harmonium. Der ganze Raum war nicht einmal ausgemalt worden, dafür fehlte es offensichtlich an Geld, denn wo jetzt das Kreuz hing, war noch der auf der grauen Wandfläche auffallend weiß gebliebene Fleck zu sehen, auf welchem jahrelang das Hitlerbild hing. Jetzt sangen wir nicht mehr
Die Fahne hoch
oder
Es zittern die morschen Knochen
, und wir hörten nicht mehr stramm stehend in diesem Raum die Sondermeldungen aus dem Radio an, sondern sangen zum Harmonium
Meerstern ich dich grüße
oder
Großer Gott,

Weitere Kostenlose Bücher