Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
nicht möglich, dieser wunderbaren Frau gerecht zu werden, mehr also als bei meiner Mutter, die mit den Kindern ihres Mannes, meines Vormunds, der niemals mein Stiefvater gewesen war, weil er mich niemals, so die juristische Bezeichnung für diesen Vorgang,
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hatte lassen, der für mich zeitlebens immer nur
Vormund
geblieben, niemals
Stiefvater
geworden war, mehr noch als bei meiner Mutter war ich bei meinen Großeltern gewesen, denn dort hatte ich immer die Zuneigung und das Verstehen und das Verständnis und die Liebe gefunden, die für mich sonst nirgends zu finden gewesen waren, und ich war ganz unter der Obsorge und unbemerkten Erziehung meines Großvaters aufgewachsen. Meine schönsten Erinnerungen sind diese Spaziergänge mit meinem Großvater, stundenlange Wanderungen in der Natur und die auf diesen Wanderungen gemachten Beobachtungen, die er in mir nach und nach zur Beobachtungskunst hatte entwickeln können. Aufmerksam für alles, auf das ich von meinem Großvater verwiesen und hingewiesen war, darf ich diese Zeit mit meinem Großvater als die einzige nützliche und für mein ganzes Leben entscheidende Schule betrachten, denn er und niemand anderer war es, der mich das Leben gelehrt und mich mit dem Leben vertraut gemacht hat, indem er mich zuallererst mit der Natur vertraut gemacht hat. Alle meine Kenntnisse sind zurückzuführen auf diesen für mich in allem lebensund existenzentscheidenden Menschen, der selbst durch die Schule Montaignes gegangen war, wie ich durch seine Schule gegangen bin. Meinem Großvater waren ja die Umstände und Zustände in der Stadt Salzburg vollkommen vertraut gewesen, denn er selbst war von seinen Eltern zu Studienzwecken in diese Stadt geschickt worden, er hatte das Priesterseminar besucht, aber er hatte in dieser Anstalt in der Priesterhausgasse unter den gleichen Bedingungen zu leiden gehabt wie ich über fünfzig Jahre später in meinem Internat in der Schrannengasse, und er war ausgebrochen und, für die damalige Zeit, gerade noch vor der Jahrhundertwende, eine Ungeheuerlichkeit, nach Basel, um dort eine gefährliche Existenz als Anarchist zu führen wie Kropotkin, und er war später dann mit seiner Frau, meiner Großmutter, zusammen zwei Jahrzehnte unter den fürchterlichsten Umständen Anarchist gewesen, immer gesucht und oft verhaftet und eingesperrt. Neunzehnhundertvier ist meine Mutter in Basel geboren worden, mitten in dieser Zeit, und mein Onkel später in München, wohin es diese jungen Menschen, wahrscheinlich auf der Flucht vor der Polizei, verschlagen hatte. Und dieser ihr Sohn, mein Onkel, war zeitlebens ein Revolutionär gewesen, schon mit sechzehn Jahren in Wien als Kommunist die meiste Zeit eingesperrt oder auf der Flucht, war er diesen seinen kommunistischen Idealen zeitlebens treu geblieben, dem ihn zeitlebens beschäftigenden Kommunismus, der niemals Wirklichkeit werden kann, der immer nur Phantasie in solchen außerordentlichen Köpfen wie in dem Kopf meines Onkels bleiben muß und an welchem solche außerordentlichen Menschen als lebenslänglich unglückliche Menschen zugrunde zu gehen haben, und mein Onkel ist unter den fürchterlichsten und traurigsten Umständen zugrunde gegangen. Aber auch das kann, wie alles hier Notierte, nur Andeutung sein. Wahrscheinlich war die eigene Erfahrung in Salzburg als Studierstadt der Grund für den Wunsch und den Entschluß meines Großvaters gewesen, auch mich in diese Stadt zu geben zu dem Zwecke eines Studiums, aber daß auch der Enkel in dieser Stadt als Studierstadt zum Scheitern verurteilt war, hatte er nicht voraussehen, vor der Tatsache auch nicht verstehen können oder doch verstehen, aber doch nicht begreifen können, was ihm wahrscheinlich eine entsetzliche Wiederholung seines eigenen Scheiterns gewesen war. In dem Enkel zu erreichen, was ihm selbst nicht ermöglicht gewesen war, ein
ordentliches Studium
in Salzburg, seiner und meiner Heimatstadt, abschließen, absolvieren zu können, war sicher sein Ziel gewesen, daß ich ihn enttäuschen mußte, war schmerzhaft gewesen. Aber war nicht gerade seine eigene Schule, in die ich die ganze Kindheit und frühe Jugend gegangen war, die Voraussetzung für dieses Scheitern in Salzburg gewesen? Aber noch hatte mein Großvater keine Ahnung von der, wenn auch noch nicht vollzogenen, so doch voraussehbaren Tatsache, daß ich nicht lange auf das Gymnasium gehen würde, weil meine Fortschritte dort im Grunde nichts als Rückschritte gewesen waren und weil
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