Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
ich nach und nach jede Lust, auch nur irgend etwas an diesem Gymnasium zu lernen, verloren hatte, ich
haßte
von einem bestimmten Zeitpunkt an diese Schule und alles, was mit ihr zusammenhing, und ich war, schulisch gesehen,
verloren
. Aber ich zwang mich noch viele Monate und in Wahrheit noch eineinhalb Jahre durch diesen unerträglich gewordenen Zustand, das Gymnasium zu besuchen und gleichzeitig, von der Aussichtslosigkeit, in ihm weiterzukommen, vollkommen überzeugt, fortwährend auf die erniedrigendste Weise deprimiert zu sein. Ich ging in dieses für mich in allen seinen Einzelheiten unerträglich gewordene Gebäude am Grünmarkt wie in eine tagtägliche Hölle hinein, und meine zweite Hölle ist das Internat in der Schrannengasse gewesen, und so wechselte ich von der einen Hölle in die andere und war nur noch verzweifelt, aber ich hatte keinen Menschen auch nur das geringste von dieser Verzweiflung erkennen lassen. Meine Großmutter, Tochter einer großbürgerlichen Salzburger Familie, deren Verwandte überall in der Stadt ihre alten stattlichen Häuser hatten und haben, hatte mich oft ermuntert, diese ihre und also auch meine Verwandten aufzusuchen, aber ich war dieser Aufmunterung niemals gefolgt, zu groß ist mein Mißtrauen gegen alle diese Geschäftsleute als Verwandte gewesen, als daß es mir möglich gewesen wäre, durch ihre schweren, eisernen Türen hineinzugehen, mich ihrer fortwährenden zerstörerischen Neugierde auszusetzen, ihrem Argwohn, und sie selbst, meine Großmutter, hatte mir ja oft und oft und immer wieder von ihrer entsetzlichen Kindheit und Jugend in dieser für sie nichts als entsetzlichen Stadt und unter diesen wie die Stadt kalten Menschen als Verwandten berichtet, sie hatte alles eher als eine erfreuliche Kindheit in ihrem Zuhause gehabt, so war es, nachdem sie, als sie siebzehn Jahre alt gewesen war, von ihren Eltern, einem Großhändlerehepaar, mit einem wohlhabenden vierzigjährigen Salzburger Schneidermeister verheiratet worden war, selbstverständlich gewesen, aus dieser ihr aufgezwungenen Ehe, aus welcher drei Kinder hervorgegangen waren, über Nacht auszubrechen und meinem Großvater, den sie, aus ihrer Wohnung zum Priesterhaus in der Priesterhausgasse hinüberschauend kennengelernt hatte, nach Basel zu folgen, um ihn, der
kein einfacher Mann
gewesen war, das ganze Leben zu begleiten, sie hatte ihre Kinder zurückgelassen, nur um von diesem ungeliebten, ihr immer unheimlich brutalen Mann wegzukommen, im Alter von erst einundzwanzig Jahren, aus jener Dreikinderehe, die nichts anderes als ein Geschäft gewesen war. Die Großmutter ist eine tapfere Frau gewesen, und als einzige von uns allen hatte sie so etwas wie eine ungebrochene Lebensfreude gehabt ihr ganzes Leben, das dann ziemlich elendig in einem riesigen, von dreißig oder mehr schon halb verrosteten Eisenbetten verstellten Krankenzimmer in der Salzburger Nervenheilanstalt aufgehört hat. Ich habe sie noch ein paar Tage vor ihrem Tod gesehen, zwischen diesen wahnsinnigen und irren und vollkommen hilflosen alten Sterbenden, zwar noch hörend, aber nicht mehr verstehend, was ich zu ihr gesagt habe, weinte sie ununterbrochen, und dieser letzte Besuch bei meiner Großmutter ist mir vielleicht die schmerzhafteste Erinnerung überhaupt. Aber sie hat ein unglaublich
reiches
Leben gehabt und war mit und ohne meinen Großvater in ganz Europa herumgekommen, kannte beinahe alle Städte in Deutschland und in der Schweiz und in Frankreich, und niemand in meinem Leben hat so gut und so eindringlich erzählen können wie sie. Sie ist schließlich neunundachtzig Jahre alt geworden, aber ich hätte noch viel von ihr zu erfahren gehabt, sie hatte das meiste erlebt, und ihr Gedächtnis war bis zuletzt klar gewesen. Die Stadt, welche auch ihre Heimatstadt gewesen ist, hatte sich ihr am Lebensende in ihrer fürchterlichsten Weise gezeigt, von konfusen Ärzten ins Spital und schließlich ins Irrenhaus gesteckt und von allen, wirklich von allen Menschen, gleich ob verwandt oder nicht, verlassen, ein Ende in einem riesigen mit Sterbenden angefülltenmenschen unwürdigen Krankensaal. So sind alle, die mir die Nächsten gewesen sind und die alle aus dem Boden dieser Stadt oder dieser Landschaft sind, wieder in den Boden dieser Stadt oder Landschaft zurückgekommen, aber meine Friedhofsbesuche zu meiner Mutter, zu meinen Großeltern, zu meinem Onkel sind, an sich zwecklos, nur
unerhörte
Erinnerung und schwächende, nachdenklich machende
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