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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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führten, in ihre übersteigerten Einbildungskräfte, aus welchen sie als Erschlagene übrigblieben. In Träume und Phantasien flüchteten sie, die sie zu Tode schwächten. Sie, die Bewohner der Vorhölle, die in Wahrheit die Hölle gewesen ist, waren immer um alle Möglichkeiten gebracht, es war ihre Natur, keine Möglichkeit zu haben, außer der Möglichkeit, zugrunde zu gehen. Sie hatten zwei Existenzabbruchsmöglichkeiten, sonst keine Wahl: sie mußten sich umbringen zu einem bestimmten Zeitpunkt, oder sie legten sich ins Bett, um zu sterben zu einem bestimmten Zeitpunkt. Der Lebens- oder Existenzwille, da und dort auch in der Scherzhauserfeldsiedlung als eine Groteske zur Schau getragen, machte die Zustände in der Vorhölle, die die Hölle gewesen ist, nur noch grauenhafter. Aus ein paar Fenstern hörte man in regelmäßigen Abständen, vornehmlich an den Wochenenden, Musik, eine Ziehharmonika, eine Zither, eine Trompete, ab und zu war auch gesungen worden, aber das alles war eine tödliche Heiterkeit, der am Vortag so schön sein Volkslied gesungen hatte, war gegen Mittag, ich sperrte gerade unser Geschäft ab, im Sarg aus dem Haus getragen, die Zitherspielerin hatte sich nicht lange darauf erhängt, und der Trompetenbläser war in der Lungenheilanstalt in Grafenhof im Pongau gelandet. Im Fasching, am Faschingdienstag, hatten sie ihren Höhepunkt: sie hatten sich alle möglichen Larven gekauft und sogenannte lustige oder schaurige Kleider geschneidert und rannten, als wären sie für diesen Tag wild geworden, in der Siedlung aufgebracht hin und her, und sie glaubten, man erkenne sie nicht, während man doch jeden von ihnen sehr rasch erkannte. Die versoffene Stimme kennst du, diesen hinkenden Gang kennst du, habe ich gedacht, aber wehe, man hätte diesen Menschen gesagt, daß man sie erkannt habe. Auch im Kostüm kamen sie mit der gewohnten Rumflasche ins Geschäft und blieben den Liter schuldig. Da sie so viele Kinder in die Welt setzten wie keine andere Menschenansammlung in der Stadt, durften sie auch den Rekord in Begräbnissen haben. Ihr regelmäßiger Ausflug in die sogenannte Große Welt war ihre Teilnahme an den Leichenbegängnissen auf dem Kommunalfriedhof oder auf dem Lieferinger Friedhof, wenn einer von ihnen gestorben war. Ihre Schicksale endeten, mit wenig Ausnahmen, im Schachtgrab oder im Massengrab. Nach den Begräbnissen kauften sie sich einen Leichenschmaus aus allen möglichen Lebensmitteln und Delikatessen in unserem Geschäft zusammen und ließen ihn aufschreiben. Die wenigsten Kunden bezahlten in barem Geld, alle hatten ein sogenanntes Aufschreibebuch, und viele bezahlten monatelang nicht, bis dem Herrn Podlaha die Geduld riß, dann bezahlten sie oder bezahlten nicht und gingen in das zweite Lebensmittelgeschäft in der Scherzhauserfeldsiedlung, bis sie auch dorthin nicht mehr gehen konnten, und kamen zurück und bezahlten. Der Inhaber des zweiten Lebensmittelgeschäfts hatte von vornherein kein Aufschreibebuch, er hatte sich niemals auf das Risiko, seinen Kunden auch nur den geringsten Kredit zu geben, eingelassen, diese Konsequenz mußte er mit einem viel bescheideneren Umsatz als wir bezahlen, und tatsächlich konnte der zweite Lebensmittelhändler von seinem Umsatz kaum existieren. Die Großzügigkeit Podlahas, vielmehr seine Schläue, machten sich bei ihm bezahlt, fast alle Leute in der Siedlung kauften bei ihm ein, und sie kauften so viel ein, weil sie so verzweifelt waren, mit unaufhörlichem Einkaufen und Verzehren von Lebensmitteln und Delikatessen glaubten alle diese Bewohner der Scherzhauser Vorhölle oder Hölle, sich die Verzweiflung erträglicher machen zu können, und es ist bekannt, daß die Ärmsten und die Unglücklichsten am meisten einkaufen und am meisten essen und sich in eine immer größere und teuflischere und tödlichere Verzweiflung hineinkaufen und hineinessen. Beinahe ihr ganzes Geld trugen sie in unser Geschäft, an Auszahlungstagen leerte sich unser Laden beinahe vollkommen, und das halbe Magazin mußte ausgeräumt werden, alle diese Leute hatten viele Kinder und dadurch viele Lebensmittelmarken, und was nicht auf Marken zu kaufen und frei erhältlich gewesen war, kauften sie ungeschaut und in größten Mengen. Und sie kauften vor allem in großen Mengen, was sie nicht brauchen konnten, und im Anschaffen von solchen für sie vollkommen nutzlosen Waren war unser Chef erfinderisch, wo er ihrer habhaft werden konnte, kaufte er billig Hunderte von Gegenständen,

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