Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
Biografie mir nicht mehr bekannt geworden war, als daß er aus Wien stammte und daß er Musiker hatte werden wollen und ein kleiner Krämer geworden und, wie ich weiß, auch geblieben ist, hatte ich aufeinmal und unvorhergesehen wieder einen Lehrer, der von mir akzeptiert werden konnte, er lehrte mich alles das, was ich von meinem Großvater nicht erlernen konnte, die Gegenwart als Realität. Ich lernte, indem ich ihn aufmerksam beobachtete und mehr noch beobachtete, als ihm selber bewußt war, mit dem tagtäglichen Leben fertig zu werden und mich zu behaupten, was ich nicht einmal von meinem Großvater gelernt hatte. Daß Sich-ununterbrochen-Disziplinieren die Voraussetzung ist für das tagtägliche Weiterkommen, ununterbrochen Ordnungmachen nicht nur im eigenen Kopf, sondern in allen tagtäglichen kleinen und kleinsten Dingen. Ich hatte in ihm einen Lehrer, der mir sein Wissen als sein Wesen nicht aufzwingen mußte, von welchem ich bereitwilligst alles aufnehmen konnte, ohne Niederlage, ganz ohne Scham. Er war sich seiner Lehrerrolle nicht bewußt gewesen in allem, was mir das Wichtigste gewesen war und das nichts mit der eigentlichen Kaufmannslehre zu tun hatte, was auf dem kaufmännischen Sektor zu lernen gewesen war, war bald gelernt, ich hatte ja durchaus einen kaufmännischen Instinkt, der mir, was das Geschäft betraf, immer von Vorteil gewesen ist, das Wichtige war, daß mich der Podlaha lehrte, wie Menschen gleichzeitig mit der größten Intensität, gleichzeitig mit der größten Distanz zu begegnen sei, und er war ein Meister im Menschenkontakt. Gerade das hätte ich von meinem Großvater niemals lernen können, er hatte sich isoliert und mit sich im Laufe der Zeit seine ganze Umgebung, seine Frau, meine Mutter und deren Mann und wiederum deren Kinder, und also auch mich isoliert, mein Großvater war vollkommen unfähig gewesen in der Kontaktnahme und war isoliert von allen, gleich welcher Herkunft, gleich welcher Gesellschaft, gleich welcher Natur, der Podlaha aber hatte mit allen Kontakt. Ihm verdanke ich, später nie unter Kontaktschwierigkeiten gelitten zu haben, und das ist ein großer, ja lebenswichtiger Vorteil. Mein Großvater hatte mich die Menschen aus großer Distanz beobachten gelehrt, der Podlaha konfrontierte mich direkt mit ihnen. Nun hatte ich beide Möglichkeiten. Der Podlaha aber hatte, ganz zum Unterschied von meinem Großvater, sein Selbstbewußtsein nicht und niemals verloren. Der Podlaha war kein Einzelgänger, er hatte immer Gesellschaft um sich, mein Großvater dagegen war ein absoluter Einzelgänger, auch wenn er eine Familie hatte, und der Podlaha hatte keine Familie. Der Podlaha hatte sich von den Zerstörern seiner Hoffnungen nicht zerstören lassen, nicht wie mein Großvater, der tatsächlich von den Zerstörern seiner Hoffnungen zerstört worden war. Aber ich will meinen Großvater nicht mit dem Podlaha vergleichen, das wäre absurd. Der eine hatte mit dem andern im Grunde nichts zu tun, und beide haben sich nie gesehen, auch niemals Interesse an einer Begegnung gezeigt. Der Podlaha hat als Lehrer die Lücken ausgefüllt, die mein Großvater offengelassen hatte. Ich bin bei ihm in die Kaufmannslehre gegangen, aber das war nicht das Entscheidende, das ich bei ihm gelernt und von ihm profitiert habe. Er hatte mich jahrelang in die Menschenmöglichkeiten hineinschauen lassen, von welchen ich bis dahin keine Ahnung gehabt hatte,
in die anderen Menschenmöglichkeiten
. Heute sagte mir jemand, die Scherzhauserfeldsiedlung wird abgerissen, stillschweigend. Ich hatte einen Augenblick gedacht hinzugehen, sie mir noch einmal anzuschauen, jahrelang hatte ich diesen Gedanken gehabt, hineinzugehen, von der Gaswerkgasse aus, und das Kellergeschäft aufzusuchen. Einmal, vor fünf, sechs Jahren, habe ich einen Blick durch das Scherengitter, das heute noch existiert, durch die hohen Fenster in den Keller hineingeworfen. In das längst aufgelassene Geschäft, das sich anscheinend nicht mehr rentierte. Das Scherengitter war verrostet, die Türen waren abgesperrt, aber die Geschäftseinrichtung war wie damals. Nur war im Gegensatz zu meiner Zeit ein unvorstellbarer Schmutz im Geschäft. Der Podlaha hatte es, so dachte ich dastehend und in dem Gedanken, ob ich beobachtet bin oder nicht, eines Tages aufgegeben, wahrscheinlich, weil es für ihn keinen Sinn mehr hatte. Eine Reihe von Großmärkten hat sich in der Zwischenzeit ganz in der Nähe etabliert, sogenannte Supermärkte sind aus dem Lehener
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