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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Paradeiser, zuviel Äpfel, alles verfaule. Er müsse wieder weg, das Mehl sei heute günstig im Einkauf. Wohin er um das Mehl fuhr, weiß ich nicht. Im Nebenzimmer saß er hinter der offenen Tür, während ich den Laden säuberte, ich kehrte zusammen und wischte auf, durchsuchte die Erdäpfelsteigen, die Paradeisersteigen. Mit dem verfaulten Obst und Gemüse ging ich hinauf und um die Ecke und leerte das Ganze in den Coloniakübel. Ist das Magazin abgeschlossen? Ich prüfte das Vorhangschloß, ging wieder mit dem leeren Kübel in den Laden zurück. Der Chef saß im Nebenzimmer und machte Kassa. Halbe Nächte lang saßen wir oft zusammen im Nebenzimmer und klebten, wie es Vorschrift gewesen war, die Lebensmittelmarken auf die großen Packpapiere. Ich sah, in den Laden hineinschauend, in welchem außer dem unvorstellbaren Schmutz und Staub nichts gewesen war, alles deutete darauf hin, daß den Laden schon jahrelang niemand betreten hat, die Frauen mit den Rumflaschen über die Treppe heruntertorkeln, beinahe umkippen bei ihrem Eintritt ins Geschäft, die Flasche auf die Budel stellen, daß es ein Kunststück gewesen war, ich füllte die Flasche an, obwohl ich den Auftrag hatte, dieser und jener keinen Rum mehr zu geben, entweder weil sie schon zuviel Schulden oder jedesmal nach dem Aussaufen der Flasche zuviel Radau gemacht hatte in der Siedlung; der Podlaha wollte keine Unstimmigkeiten, kein Aufsehen im Zusammenhang mit dem Geschäft. Wenn man ihnen nichts zu trinken gab, drohten sie gleich mit dem Umbringen, der Chef warf sie hinaus, auf allen vieren krochen sie die Treppe hinauf unter Flüchen und kamen am nächsten Tag wieder. Wenn einer starb, und beinahe jede Woche starb einer in der Siedlung, ging der Chef, nicht im schwarzen Anzug, aber mit einer schwarzen Krawatte, zum Leichenbegängnis. Die schwarze Krawatte hing im Nebenzimmer im Kasten, in welchem auch die Geschäftsmäntel hingen, er brauchte sie sich nur umzubinden und wegzugehn. Jeder, der hier starb, war sein Kunde gewesen. Das Geschäft war der Treffpunkt. An den Vormittagen standen oben über der Treppe hinter dem Geländer vier oder fünf oder gar sechs oder sieben Kinderwagen, und die Mütter waren bei mir im Geschäft und unterhielten sich. Ich machte ihnen Wurstsemmeln und verkaufte ihnen nach und nach alle möglichen Süßigkeiten. Einer nach der andern fiel immer wieder noch etwas ein, das sie kaufen mußte. Im Winter waren sie alle von unseren zwei elektrischen Nachtspeicheröfen angelockt, die meisten hatten es nicht warm zuhause. Ich stand da und schaute in den Laden hinein und stellte erst jetzt fest, daß ich genau vor der Eingangstür in einem riesigen, schon kompostierten Laubhaufen stand, jahrelang hatte der Wind das Laub von den Siedlungsbäumen hier heruntergeweht, das störte niemanden. Offensichtlich hat kein Mensch mehr Interesse an dem Geschäft. Es ist nicht mehr lebensfähig. Der Podlaha hat es vor vielen Jahren aufgegeben, nicht einmal die Elektroöfen hat er sich mitgenommen, die Regale nicht, die Budel nicht, die einmal sein ganzer Stolz gewesen war, sein Entwurf, wie die praktischen Regale. In dem Laden waren noch Lebensmittelplakate, die seit zwanzig Jahren nicht mehr im Handel sind. Der Podlaha hatte zu den Amerikanern Beziehungen, welche Beziehungen, weiß ich nicht. Manchmal tauchte ein Schwarzer auf im Geschäft und verschwand im Nebenzimmer und ging nach einer Viertel- oder halben Stunde wieder. Podlahas Mutter existierte damals noch in Wien, vielleicht war sie sechzig, das ist kein Alter, für mich war die Frau eine Greisin, er verbrachte den Heiligen Abend immer bei ihr in Wien, und im Sommer verbrachte sie ein paar Tage oder Wochen bei ihm in Salzburg, eine adrette Frau. Der Podlaha hat mich leiden mögen, dachte ich, ich ihn auch. Mit dem Karl, dem älteren Lehrling, hatte er große Schwierigkeiten, der Karl war vier oder fünf Jahre in der Fremdenlegion und ist wieder aufgetaucht in Salzburg, plötzlich einmal mitten in der Stadt, er hat mich sofort erkannt. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört. Der Gehilfe Herbert war mir von Anfang an mit Sympathie begegnet. Er fuchste mich nicht. Keiner im Keller ist ein Sadist gewesen. Im Sommer war es hier kühl und im Winter durch die beiden Elektronachtspeicheröfen angenehm warm. Naturgemäß hatte ich die gröbste und sozusagen die niedrigste Arbeit zu verrichten, aber ich war von einer durchaus kräftigen Konstitution, und Siebzigkilosäcke wie die Kukuruzsäcke

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