Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
Kolonialwarenhandlung, und es hatte in ihm auch keine Zuckerhüte mehr gegeben und keine Petroleumlampen, und die Ruderleibchen waren längst aus der Mode gekommen und vergessen. Auch von der Ruhe, mit welcher meine Tante Rosina ihre Waren angepriesen und verkauft hat, war nichts im Keller des Karl Podlaha, und der Gemischtwarenladen in Henndorf, so bescheiden als möglich und nur mit Holzregalen und Holzladen ausgestattet, hatte ja auch nur ein paar Dutzend treuen Dorfkunden dienen müssen, während der Keller in der Scherzhauserfeldsiedlung an die tausend Kunden zu versorgen hatte, und der alles in allem doch spitzfindige Großstädter Podlaha war natürlich mit meiner eher schwerfälligen und gutmütigen Tante Rosina in Henndorf nicht zu vergleichen. Aber ich will nur sagen, daß die Kaufmannstradition bei den Unseren eine uralte Tradition ist, der Vater der Tante Rosina und also der Vater meines Großvaters und also mein Urgroßvater war, wie es noch auf dem Grabstein in Henndorf zu lesen steht, tatsächlich ein sogenannter
Großhändler
gewesen, der die Butter und das Schmalz der Flachgauer Bauern auf den Wiener Naschmarkt geliefert hat und mit dieser Tätigkeit nicht nur im ganzen Flachgau als
Schmalzsepp
berühmt, sondern auch ein wohlhabender Mann geworden ist. Viele Flachgauer wissen auch heute noch, was unter dem Begriff
Schmalzsepp
zu verstehen ist, und das Wort
Schmalzsepp
macht den Flachgauern, wenn sie wissen wollen, wer und woher ich sei, im Augenblick und mit dem größten Respekt meine Herkunft klar. Im Keller war ich nicht ausgeliefert, sondern
geborgen
gewesen. Indem ich mich vollkommen und hundertprozentig der Scherzhauserfeldsiedlung als einer meiner Erfahrung und Erziehung entgegengesetzten Richtung ausgesetzt hatte, hatte ich Schutz gefunden, in dem totalen Widerspruch war ich aufeinmal zuhause, jede einzelne der Hunderte und Tausende von Beschäftigungen im Keller, die alle anzuführen überflüssig ist, war mir ein Mittel zum Zwecke meiner Errettung gewesen. Die Vernunft hatte voraussehen lassen, daß ich durch meinen Entschluß verloren sei, aber das Gegenteil war eingetreten. Weil ich von der vollkommenen Sinnlosigkeit meiner Existenz als Gymnasiast und als das, was das Gymnasium in einem Menschen bewirkt und bewirken
muß
, überzeugt gewesen war, durfte ich den Schritt in die Ungewißheit wagen. Nur die hundertprozentige Überzeugung kann eine Möglichkeit zur Errettung sein. Aber der Keller ist nicht nur die Erfreulichkeit für mich gewesen. Oft bin ich, angewidert von der Fürchterlichkeit der Kellerumstände, die Menschen und Gegenstände im Keller betreffend, aus dem Keller hinaus in das Magazin geflüchtet, weil ich an mir und an den andern gescheitert war. Die Sensibilität des Halbwüchsigen, der ich ja immer noch gewesen war, hatte unter der Brutalität der Kellerkunden und unter der Brutalität des Podlaha und unter der allgemeinen Gemeinheit den kürzeren gezogen, war ich selbst nun die Ursache oder nicht. Dem Weinen näher als der Verfluchung, habe ich oft Kisten geschleppt, Säcke, meinen Kopf in die Mehltruhe hineingesteckt. An einer nicht genau angefüllten Maggiflasche hatte sich der Zorn des Podlaha entzünden und mich kopfüber in Verzweiflung und Angst stürzen können. Die Roheit der Kunden war ebenso intensiv gewesen wie ihre Zuneigung. Die großen Fehler hatte der Podlaha oft übersehen, sich aber über kleine in völlig unangemessener Weise aufregen können, er war ein jähzorniger Mensch, der von einem Augenblick auf den andern in Wut kommen konnte. Er haßte die Unkorrektheit, und er litt keine Unaufrichtigkeit. In seiner Kleidung, selten habe ich ihn sozusagen in Zivil und also ohne Geschäftsmantel gesehen, war er eitel gewesen, aber, soviel ich weiß, in seinen Existenzansprüchen bescheiden. Er hätte keinen Grund gehabt, etwas vorzumachen. Er liebte, wie alle Wiener, Landpartien und Geselligkeit, aber davon weiß ich nur aus Erzählungen. Für einen Lebensmittelhändler war er im Grunde zu intelligent, wahrscheinlich ist das die Ursache dafür gewesen, daß er den Keller lange vor der Zeit, also noch in seinen fünfziger Jahren, aufgegeben hat. Er liebte Bruckner und Brahms und war ein eifriger Konzertsaalbesucher. Die Musik war der Gegenstand, über den wir uns oft unterhalten haben. Und vielleicht war
der Podlaha, der verhinderte Musiker und Klassikerfreund, der Anlaß
, warum ich selbst mich, nach ein paar Monaten Kellerlehrstelle, wieder an die Musik als
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