Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
verabscheuungswürdige Welten gewesen waren, versuchte er, auf mich Eindruck zu machen und mir tatsächlich eine Sängerkarriere einzureden. Aber er brauchte mir eine solche nicht einzureden, ich selbst war aufeinmal von meiner Sängerkarriere überzeugt gewesen, vollkommen davon überzeugt gewesen, nachdem ich von der ersten Sophie in der Uraufführung des Rosenkavalier von Richard Strauss in Dresden, Maria Keldorfer in der Pfeifergasse, als Gesangsschüler akzeptiert worden war und mir die Frau Keldorfer auch eine Karriere als Sänger mehr oder weniger versprochen hatte. Das Inserat meines Großvaters mit dem Kennwort
Schaljapin
hatte die alte Dame beeindruckt, und sie hatte darauf meinem Großvater geschrieben, und ich war in die Pfeifergasse gegangen und hatte der alten Dame vorgesungen, und sie hatte mich sozusagen in ihren musikalischen Schutz genommen. So war ich von irgendeinem Montag oder Donnerstag an an den Abenden, nach Geschäftsschluß, in die Gesangsstunde gegangen, und es war ausgemacht, daß ich diese Gesangsstunden von meiner Lehrlingsentschädigung, die damals fünfunddreißig Schilling im Monat betragen hat, bezahlte, einen erforderlichen Zuschuß bekam ich von meinem Großvater. Es war dem Podlaha einerseits gar nicht recht gewesen, daß in meinem Kopf fortan auch die Musik und insbesondere der Gesang einen Platz hatte, aber andererseits merkte ich, wie er daran interessiert gewesen war, mit mir über Musik zu reden, und diesen Gesprächen ist mein Musikunterricht entgegengekommen. Jetzt, durch Aufnahme des Gesangsunterrichts, in welchem ich gleich die größten Fortschritte machte, war, schien mir, meine Existenz in die richtige Position gerückt, der Keller war aufeinmal sozusagen durch einen musikalischen Trick abgestützt. Ich ging jetzt noch lieber in den Keller als vorher. Meine Liebe zur Musik, die lebenslänglich meine große Liebe gewesen und geblieben ist, war mit einem Schlag in einem regelrechten Musikstudium verankert gewesen, der Mann der Maria Keldorfer, der berühmte hannoveranische Professor Theodor W. Werner, Musikwissenschaftler und Kritiker, hatte mich schon nach kurzer Zeit ebenfalls unter seine Fittiche genommen, er unterrichtete mich, und zwar kostenlos, nach jeder Gesangsstunde, die ich bei seiner Frau absolviert hatte, in Musiktheorie und später dann beinahe ausschließlich in der Musikästhetik, in dem Fach, das auch am Mozarteum das seine gewesen war, und die hervorragendsten musikalischen Kenntnisse verdanke ich bis zum heutigen Tage ihm, obwohl ich später noch viele Musiklehrer und sehr viele bekannte Musiklehrer an unseren Akademien gehabt habe. Was mir in meiner Gymnasialzeit niemals möglich gewesen war, konkret und exakt mich mit Musik zu beschäftigen, nicht nur in ekstatischer Leidenschaft, ihre Grundlagen zu erforschen und auf diesen Grundlagen in meiner musikalischen Bildung weiterzugehn, war mir jetzt selbstverständlich. Ich entwickelte die Musik, als wäre sie nichts als eine höhere Mathematik, und gelangte mit der größten Wissensbereitschaft zu den besten Ergebnissen. Voraussetzung waren jetzt mein absoluter Wille, Musik zu machen
und
zu studieren einerseits, und die in allem außergewöhnlichen und außerordentlichen Persönlichkeiten meiner neuen Lehrer in der Pfeifergasse gewesen, in jenem Hause, in welchem der Biedermeiermaler Stief seine in vielen Salzburger Kirchen, Palästen und Bürgerhäusern hängenden Ölbilder malte und der der Großvater meiner Lehrerin gewesen war, in jenem dreistöckigen Hause mit seinen vielwinkeligen Vorhäusern und Zimmern, in welchem ich die einfachsten und vornehmsten Gewölbe und die kunstvollsten Stukkaturen gesehen habe. Das ganze Haus war von oben bis unten mit den kostbarsten Empire- und Biedermeiermöbeln eingerichtet, und im Salon stand das sogenannte Herzstück des Hauses, ein Steinwayflügel. Viele Jahre bin ich in dieses Haus gegangen und an diesen Steinwayflügel, an welchem ich die Schönheiten und die Fürchterlichkeiten des Gesangsstudiums kennengelernt habe. Heute weiß ich, ich wäre ein guter Oratoriensänger geworden, Purcell, Händel, Bach, Mozart hätten ohne weiteres der Inhalt meines Lebens sein können. Ich hatte das Glück, nicht nur von einer der zweifellos gebildetesten, gleichzeitig subtilsten Gesangslehrerinnen, wie sie die Maria Keldorfer gewesen war, in Gesang und also in dem ersten aller praktischen Instrumente ausgebildet zu werden, der größte Vorzug war die gleichzeitige
Weitere Kostenlose Bücher