Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
Uhr früh aufzustehn. Das Ritual wiederholt sich, den Jahreszeiten wird, gegen die pausenlosen Kräfte der Trägheit und in dem ununterbrochenen Bewußtsein, daß alles Tun nur ein sinnloses Tun ist, durch die tagtägliche gleiche Disziplinierung begegnet. Die Isolierung ist lange Perioden eine totale Isolierung des Körpers wie des Geistes, indem ich mich vollkommen und unbestechlich meinen Bedürfnissen unterwerfe, werde ich mit mir fertig. Zeiten der absoluten Reproduktion wechseln ab mit dem Gegenteil, allen nur möglichen Schwankungen meiner Natur und dem Universum, was immer es sein mag, unterworfen, finde ich mich nur anhand eines genau vorgeschriebenen Tagesablaufs zurecht. Nur weil ich mich gegen mich stelle und tatsächlich immer gegen mich bin, bin ich befähigt, zu sein. Wenn ich schreibe, lese ich nichts, wenn ich lese, schreibe ich nichts, und ich lese lange Perioden nichts, schreibe nichts, es ist mir gleich widerwärtig. Mir ist lange Zeit Schreiben wie Lesen verhaßt, und ich bin der Untätigkeit und das heißt dem bohrenden Durchdenken meiner höchstpersönlichen Katastrophe einerseits als Kuriosität, andererseits als Bestätigung alles dessen, was ich heute bin und was aus mir unter diesen meinen genauso alltäglichen wie unnatürlichen, künstlichen, ja perversen Umständen mit der Zeit geworden ist, ausgeliefert. Die Tücken, die mich stolpern und verzweifeln, die mich halb verrückt werden lassen an jedem Tag, werden gegen mich, indem ich sie mir vollkommen klarmache, wirkungslos, wie mich nichts mehr angreift oder gar abtötet, wenn ich es mir klarmache. Die Existenz klarmachen, sie nicht nur durchschauen, sondern aufklären bis zu dem höchstmöglichen Grad an jedem Tag ist die einzige Möglichkeit, mit ihr fertig zu werden. Früher habe ich diese Möglichkeit nicht gehabt, in das tödliche tägliche Existenzspiel einzugreifen, dazu hatte ich weder den Verstand noch die Kraft, heute setzt sich der Mechanismus von selbst in Gang. Es ist ein tagtägliches Ordnungmachen, in meinem Kopf wird aufgeräumt, die Dinge werden jeden Tag an ihren Platz gestellt. Was unbrauchbar ist, wird verworfen und ganz einfach aus meinem Kopf
hinausgeworfen
. Die Rücksichtslosigkeit ist auch ein Alterskennzeichen. Um die Moden zu überstehen, sind die Isolation und die Unbeirrbarkeit des Geistes die einzige Rettung. Wie viele Geistesmoden sind schon an mir vorbeigegangen. Die gemeinen Restverwerter sind immer am Werk. Aber die mit ihren Ausverkaufsprodukten den Markt beherrschen, sind leicht erkennbar, sie treten sich mit der Zeit ganz von selbst in den eigenen Schmutz. Der Überlebende muß sich einen günstigen Winkel im Abseits schaffen für seine Eroberungen. Die Luft ist dünn, aber ich bin sie gewohnt. Das Entweder/Oder befindet sich schon längere Zeit im Gleichgewicht. Was ist höher einzuschätzen, die Phrase oder das Elementare? Es bleibt beim
Unsinn
. Ich habe auf alles gehört und nichts befolgt. Ich experimentiere auch heute noch, nicht zu wissen, wie es ausgeht, fasziniert den Einzelgänger, der ich jetzt wieder bin. Ich habe mich schon lange nicht mehr nach dem Sinn der Wörter gefragt, die alles immer nur unverständlicher machen. Das Leben an sich, die Existenz an sich, alles ist ein Gemeinplatz. Wenn wir uns wie ich jetzt zurückerinnern, erledigt sich nach und nach alles von selbst. Lebenslänglich sind wir mit Menschen zusammen, die über uns nicht das geringste wissen, aber fortwährend behaupten, sie wüßten über uns alles, unsere nächsten Verwandten und Freunde wissen nichts, weil wir selbst davon wenig wissen. Wir sind unser ganzes Leben dabei, uns zu erforschen und gehen immer wieder an die Grenze unserer Geistesmittel und geben auf. Unsere Bemühungen enden in totaler Bewußtlosigkeit und in fataler, immer wieder tödlicher Deprimation. Was wir selbst uns niemals zu behaupten getrauen, weil wir selbst tatsächlich inkompetent sind, getrauen uns andere vorzuwerfen, und sie übersehen absichtlich oder unabsichtlich alles an und in uns. Wir alle sind fortwährend von anderen Weggeworfene, die sich an jedem neuen Tag wiederfinden, zusammenklauben, zusammensetzen müssen. Wir fällen selbst und mit fortgeschrittenem Alter ein immer härteres Urteil und müssen uns das Doppelte in der Gegenrichtung gefallen lassen. Die Inkompetenz herrscht in allen Beziehungen, und sie bewirkt mit der Zeit ganz natürlich die Gleichgültigkeit. Nach so viel jahrelanger Verletzlichkeit und Verletzbarkeit sind
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