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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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sind auf dieser Natur als Theater an sich die Schauspieler, von welchen nicht mehr viel zu erwarten ist.
    Einmal, vor drei, vier Jahren, hat mich auf dem sogenannten Staatsbrückenkopf vor dem Rathausbogen, wo auch heute noch ein berühmtes Schirmgeschäft ist und daneben ein nicht weniger berühmter Juwelier seinen Laden hat, eine Männerstimme angerufen, und ich drehte mich um, und der gerufen hatte, sah ich, war ein an einen gerade stillstehenden Preßlufthammer gelehnter etwa fünfzigjähriger Mann gewesen mit nacktem Oberkörper und mit über die blaue Schlosserhose hängendem Bauch, schwitzend, vollkommen zahnlos, mit nurmehr noch wenigen Haaren auf dem Kopf, aber mit stechenden Augen, daß er ein Säufer gewesen war, hatte ich sofort gesehen, während sein etwa gleichaltriger Kollege, im Gegensatz zu ihm, ein magerer, hochaufgeschossener Kerl mit einer speckigen Segeltuchschildmütze auf dem Kopf, weiterarbeitete, er schaufelte offensichtlich die von dem Dicken mit dem Preßlufthammer aus dem Boden gebrochenen und geschlagenen Gesteinstrümmer auf einen Haufen zusammen, die beiden hatten nach städtischen Gas- oder Wasserleitungen im Zuge des Staatsbrückenumbaues gegraben, ich schaute in das Gesicht des Dicken, der mich offensichtlich erkannt hatte, aber ich hatte ihn nicht erkannt; ich war stehengeblieben in dem vormittägigen Menschentrubel und konnte mich nicht an den Mann erinnern, er aber erinnerte sich an mich, aber ich konnte mir nicht erklären, von woher ich den Mann kannte. Andererseits war mir klar, daß ich das Gesicht schon einmal gesehen habe, aber das muß weit zurückliegen, habe ich gedacht und: der Mann irrt sich nicht. Er ist mir zuvorgekommen: ich hätte ihm sehr oft die Rumflasche seiner Mutter angefüllt im Laden des Karl Podlaha in der Scherzhauserfeldsiedlung, er sei es gewesen, dem ich einmal aus dem Kasten im Nebenzimmer des Geschäfts ein Verbandszeug gegeben und um seinen auf unserer Geschäftstreppe verletzten Kopf gewickelt habe. An diesen Vorfall erinnerte ich mich nicht, aber an den Jüngling, der der Mann vor fünfundzwanzig Jahren gewesen war, erinnerte ich mich jetzt sofort. Ich sei, sagte er, damals noch so klein gewesen, daß ich nur mit Mühe über die Ladenbudel hatte schauen können. Er übertrieb, aber er hatte im Grunde alles richtig beobachtet gehabt. Es war, als erinnerte er sich gern an diese Zeit, die seine Jugend gewesen war, wie ich mich jetzt, bei dieser Gelegenheit, gern an diese Zeit meiner Jugend erinnerte, und wir hatten uns, stillschweigend, wortlos, in ein paar Augenblicken dieser Jugendzeit erinnert. Er wußte nichts von mir, ich wußte nichts von ihm, mitten unter den vielen Menschen am Vormittag auf dem Staatsbrückenkopf stellten wir zusammen fest, daß wir eine gemeinsame Jugend in der Scherzhauserfeldsiedlung gehabt haben, und daß wir überlebt haben, jeder auf seine Weise. Daß wir, jeder auf seine Weise, mit der ungeheueren Mühseligkeit eines jeden Alterns fünfundzwanzig Jahre älter geworden sind. Der Mann mit dem Preßlufthammer hatte mir plötzlich, nachdem ich sie jahrelang vergessen gehabt hatte, die Scherzhauserfeldsiedlung gezeigt, den Schandfleck einer Stadt, die immer nur zu den niedrigsten Arbeiten Leute aus diesem ihrem Schandfleck in ihre Mitte hineingezogen und hineingelassen hat. Auch heute, habe ich gedacht, verrichten die Leute aus der Scherzhauserfeldsiedlung die niedrigsten Arbeiten in der Stadt, und die an ihnen Vorübergehenden denken sich nichts dabei. Was aus dem Podlaha geworden ist, mit ihm geschehen sei, wollte er wissen, aber ich wußte darüber nichts. Er erkundigte sich nach dem Gehilfen Herbert und nach dem Lehrling Karl. Ich sagte, der Herbert habe sich selbständig gemacht, eine Kaffeerösterei aufgemacht in der Ernest-Thun-Straße, und der Karl sei in die Fremdenlegion, aber schon vor vielen Jahren wieder zurückgekommen. Er sei mehrere Male im Gefängnis gewesen, wie ich weiß, was mir die Frau, die über unserem Geschäft ihre Wohnung hatte, gesagt hat. Er sei der gewesen, der auch im Winter barfuß gegangen sei, sagte er, Sommer und Winter, das ganze Jahr. Ich erinnerte mich nicht. Als er sagte, er habe mir manchmal, in schweren Zeiten, beim Erdäpfelabladen geholfen, erinnerte ich mich an ihn, er war oft auf dem Sportplatz gewesen, allein mit dem Hund seines Onkels, dem er kleine Holzstücke gegen die Sportplatzmitte geworfen hat, stundenlang, um sich die Zeit zu vertreiben. Er nannte mehrere Namen, und alle

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