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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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es, keine Rezepte. So ist jeder, gleich, was er ist, und ganz gleich, was er tut, immer wieder auf sich zurückgeworfen, ein auf sich selbst angewiesener Alptraum. Ginge es nach den andern, ich existierte nicht mehr, und jeder Tag, der herankommt und Wirklichkeit geworden ist, ist der Beweis dafür. Es kommt mir vor, als existierte ich als Rutengänger im eigenen Kopf. Bin ich Teil oder Opfer der sich immer schneller drehenden und alles in ihr ununterbrochen malmenden und zermalmenden Existenzmaschine? frage ich mich. Die Antwort muß ausbleiben. Mein Charakter ist alle Charaktere zusammen, meine Wünsche sind alle Wünsche zusammen, meine Hoffnungen, Verzweiflungen, Erschütterungen. Nur die Verstellung rettet mich zeitweise und dann wieder das Gegenteil der Verstellung. Wo wir Zuflucht suchen, stehen wir vor der Inkompetenz. Der Lauf des Flüchtenden entspricht seinem Geisteszustand. Wir sehen ihn fortwährend auf der Flucht und wissen nicht, vor was auf der Flucht, obwohl es den Anschein hat, er flüchte vor allem aus allem. Der Mensch flieht vom ersten Augenblick an aus dem Leben, das er vom ersten Augenblick an kennt,
weil
er es kennt, in den Tod, den er
nicht
kennt. Alle fliehen wir lebenslänglich und starr in dieselbe Richtung. Das Theater, das ich mit vier und mit fünf und mit sechs Jahren für mein ganzes Leben eröffnet habe, ist schon eine in die Hunderttausende von Figuren vernarrte Bühne, die Vorstellungen haben sich seit dem Premierentermin verbessert, die Requisiten sind ausgewechselt, die Schauspieler, die das Schauspiel, das gespielt wird, nicht verstehen, werden hinausgeworfen, so war es immer. Jede dieser Figuren bin ich, alle diese Requisiten bin ich, der Direktor bin ich. Und das Publikum? Wir können die Bühne in die Unendlichkeit hinein erweitern, sie zusammenschrumpfen lassen auf den Guckkasten des eigenen Kopfes. Wie gut, daß wir immer eine ironische Betrachtungsweise gehabt haben, so ernst uns immer alles gewesen ist. Wir, das bin ich. Wir haben alle Vorurteile abgebaut, um sie wieder aufzubauen, vergrößert, wir haben uns den Luxus geleistet. Wir verstehen, was die Leute meinen, wenn sie von Hochmut sprechen, Arroganz, Überheblichkeit. Es stimmt schon, was gesagt wird, weil alles stimmt, und nichts braucht zurückgenommen zu werden, Schuldschein und Scham, wir lösen alles ein. Nichts, was uns vorausgesagt worden war, ist eingetreten. Was uns vorgemacht worden ist, hat sich längst als Betrug herausgestellt. Wir waren von Ideen besessen und haben uns dem Wahnsinn und dem Verrücktsein ausgeliefert, es hat sich bezahlt gemacht. Wohin wären wir gekommen, wenn wir auf die Leute gehört hätten, die uns die sogenannten Nächsten gewesen sind? Immer das Gegenteil bewirkte diese möglicherweise lächerliche, aber, wie man sieht, lebensfähige Entwicklung. Und wenn es nichts als ein Alptraum gewesen ist, er war es wert. Manchmal behaupten wir, es sei eine Tragödie, manchmal das Gegenteil, und sagen, eine Komödie ist es, und wir können nicht sagen, jetzt ist es eine Tragödie, jetzt eine Komödie. Die Schauspieler sind allerdings von der Sinnlosigkeit meiner Tragödie wie auch meiner Komödie überzeugt. Und die Schauspieler haben immer recht. Wenn wir den Auftritt von links angeordnet haben, war es ein Auftritt von rechts und umgekehrt, aber das sahen sie nicht, und es ist ihnen das Wesentliche an unserem Spiel entgangen. Sie verstehen nicht, was gespielt wird, weil ich selbst nicht verstehe, was gespielt wird. Einem Verrückten in die Karten schauen, was bringt das? Auch wenn er von sich selbst nicht behauptet, er sei nicht verrückt. Ein Kind ist immer ein Schauspieldirektor, und ich bin schon sehr früh ein Schauspieldirektor gewesen. Zuerst habe ich hundertprozentig eine Tragödie aufgeführt und dann eine Komödie und dann wieder eine Tragödie, und dann vermischte sich das Theater, es ist nicht mehr erkennbar, ob es eine Tragödie oder eine Komödie ist. Das verwirrt die Zuschauer. Sie haben mir applaudiert, jetzt bereuen sie es. Sie haben geschwiegen und mich verächtlich gemacht, jetzt bereuen sie es. Wir sind uns immer voraus und wissen nicht, sollen wir applaudieren oder nicht. Unser Geisteszustand ist unberechenbar. Wir sind alles und nichts. Genau in der Mitte gehen wir zweifellos früher oder später zugrunde. Alles andere ist eine stumpfsinnige Behauptung. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes vom Theater ausgegangen. Die Natur ist das Theater an sich. Und die Menschen

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