Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
ist mit ihr?«
»Ich glaube, sie ist entführt worden. Sie hat eine Nachricht auf meiner Mailbox hinterlassen.«
»Eine Nachricht?«
»Sie hat um Hilfe geschrien. Jemand hat sie angegriffen. Das muss gestern Abend passiert sein. In ihrer Wohnung liegt ein Umschlag mit den Fotos der ermordeten Frauen. Haben Sie mich verstanden?«
»Ja, ich habe verstanden. Wir werden einen Wagen dorthin schicken. Wollen Sie ins Präsidium kommen und eine Erklärung abgeben?«
»Ich habe nichts mehr zu sagen.«
Er legte auf und stellte sein Handy ab.
Rita blieb in der Diele stehen und starrte ihn mit großen Augen an.
»Wie du aussiehst! Bist du verprügelt worden?«
Er versuchte mit seiner aufgesprungenen Lippe zu lächeln.
»Man könnte dich glatt für einen Obdachlosen halten.«
»Der Umschlag …«, begann er.
Rita zog den Bademantel enger um sich.
»Was ist mit dir? Geht es dir nicht gut?«
Er war weder krank noch gesund. Die Angst hatte für einen klaren Kopf gesorgt. Mit wenigen Worten erklärte er, was passiert war.
»Das ist ja völlig krank! Jetzt kriege ich wirklich Angst«, erklärte Rita.
Er wollte sofort wieder los.
»Wo ist der Umschlag?«
»Der liegt immer noch in Olas Büro.«
»Kann ich dein Auto haben?«
»Ja, aber du solltest zuerst einen Happen essen. Du stinkst nach Schnaps. Es eilt ja wohl nicht so, nachdem du die Polizei alarmiert hast.«
Er ließ sich überreden. Während sie etwas zu essen machte, setzte er sich an ihren PC und ging ins Internet. Bei allen Onlineausgaben der Zeitungen war er auf der Titelseite. »Polizei musste Beschuldigten laufenlassen«, las er in Aftenposten . »43-jähriger Arzt steht immer noch unter Tatverdacht.« VG indes hatte einen anderen Aufmacher gewählt: »Vor Wut rasender Mordverdächtiger greift Journalistin an.« Die Überschrift musste er zweimal lesen, bevor er sie verstand. Darunter war ein Foto von ihm abgebildet, das mehrere Jahre alt war. Bie hatte es in Liseberg aufgenommen. Er stand lachend neben einem Karussell. Das Licht im Zimmer schien sich zu verändern, während er es betrachtete. Alles nahm einen bräunlichen, unwirklichen Schimmer an, die Schatten wurden tiefer. Er war im Begriff, alles zu verlieren. Er dachte an Bie und die Kinder und vor allem an Daniel. Das ist dein Vater, Daniel. Miriams Stimme drang an sein Ohr: »Wenn ich im Dunkeln meine Augen schließe, sehe ich dein Gesicht, Axel.« Mühsam kam er auf die Beine und stapfte ins Bad. Zog Jacke und Hemd aus und hielt seinen Kopf unter die Dusche. Wach auf, sagte er sich. Du musst endlich aufwachen, Axel Glenne!
Rita stellte einen Teller aufgewärmte Hühnchenbrust mit Champignonsoße auf den Tisch. Sie warf einen Blick auf den Monitor.
»Ich bin wirklich stolz, einen so berühmten Arzt zu kennen«, bemerkte sie trocken.
Er zwang sich zu einem Lachen.
»Was denken nur meine Patienten?«, wollte er wissen.
»Niemand denkt, dass du irgendetwas mit der Sache zu tun hast. Die lassen nichts auf dich kommen, darauf kannst du dich verlassen. Viele haben extra deswegen angerufen. Drei, vier Termine sind abgesagt worden, aber das hatte rein praktische Gründe.«
»Hast du was von Solveig Lundwall gehört?«
»Komm, setz dich und iss erst mal was. Du bist ja leichenblass.«
Er tat, was sie sagte.
»Ihr Mann hat angerufen. Sie ist wieder eingeliefert worden.«
»Gut so.«
»Hörte sich ziemlich dramatisch an. Offenbar wollte sie sich an einem Baum aufhängen. Sie war davon überzeugt, dich verraten und ins Gefängnis gebracht zu haben.«
»Es geht ihr wirklich schlecht«, sagte er kauend. »Ich hoffe nur, dass sie nicht wieder zu früh entlassen wird.«
»Ich bin übrigens gestern von Se & Hør angerufen worden. Sie wollen eine Story über dich machen.«
Er warf ihr einen Blick zu. Nichts konnte ihn mehr überraschen.
»Die Sache sollte angeblich einen positiven Aufhänger haben. Irgendetwas, das die Leute gerne lesen, trotz all des Elends.«
»Was hast du ihnen gesagt?«
»Dass sie zur Hölle fahren und sich ein anderes Thema suchen sollen, um ihre Leser glücklich zu machen.«
Er legte seine Hand auf ihre.
»Ohne dich wäre auch ich in der Hölle.«
Er wollte noch etwas hinzufügen, stand jedoch abrupt auf, drehte sich um und starrte aus dem Fenster in den Nachthimmel, über den sich ein rötlicher Schimmer gelegt hatte.
59
N ach der Razzia hatte Rita die Praxis wieder einigermaßen in Ordnung gebracht. Dennoch sah alles verändert aus. Sein Computer war verschwunden,
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