Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
ebenso ein Teil der Bücher und Unterlagen. Er ging in Olas Büro. Dort schien niemand gewesen zu sein.
Der Umschlag lag immer noch in der mittleren Schreibtischschublade. Er öffnete ihn und riss die kleineren Kuverts heraus. Alle waren frankiert und an Miriam adressiert. Darunter befand sich ein einzelner Briefbogen. Er faltete ihn auseinander und erkannte ihre Schrift. Es sah aus wie der Anfang eines Briefes.
Heute habe ich deinen letzten Brief bekommen. Ja, ich habe einen anderen Mann kennengelernt! Es ist schäbig von dir, mir nachzuspionieren, aber du wirst nicht noch mehr kaputt machen. Ich werde ihm nie von dir erzählen, egal was du tust. Wenn ich mit ihm zusammen bin, existierst du nicht. Nicht einmal in meinen Gedanken!
Willst du mich erschrecken? Ich dachte, du hättest mich verstanden. Ich will dir nichts Böses! Du hast es schon schwer genug gehabt. Ich will, dass es dir gutgeht. Aber ich kann nichts mehr für dich tun. Nicht nach dem, was damals in der Hütte passiert ist. Ich kann dich verstehen. Du hast mir von deiner Familie erzählt, und ich weiß, dass ich die Einzige bin, der du dich anvertraut hast. Ich habe viel über das nachgedacht, was du mir erzählt hast. Über deinen Großvater, der so vielen Menschen während des Krieges zur Flucht verholfen hat und schließlich im Konzentrationslager landete. Nach dem Krieg war er ein Wrack, doch niemand hat ihm für all die Menschenleben gedankt, die er gerettet hat. Und über deinen Vater, der angeblich der beste Vater der Welt war, aber getrunken und euch in den Keller gesperrt hat. Ich erinnere mich noch genau, wie du mir davon erzählt hast, als wäre es gestern gewesen. Wir saßen auf den Stufen vor der Hütte, und ich konnte einfach nicht verstehen, dass du wirklich der Meinung warst, dass deine Mutter an allem schuld war, weil sie euch verlassen hat, während dein Vater immer nur das Beste wollte. Ich war so dumm, dir offen meine Meinung über deinen Vater zu sagen, und von diesem Moment an schienst du dich völlig zu verändern. Das werde ich nie vergessen können. Ich werde nie vergessen, wie du mich damals im Keller angeschaut hast. Da hast du mich gehasst und wolltest mich quälen. Tausend Entschuldigungen können nicht kitten, was damals in Scherben ging! Ich weiß, dass du mir mehr vertraut hast als jedem anderen Mädchen, dem du begegnet bist. Dass du mir deshalb so viel über deine Familie erzählt hast. Das verstehe ich, und ich verzeihe dir, aber ich kann dir nie mehr vertrauen. Du musst zum …
Weiter war sie offenbar nicht gekommen. Er sah die anderen Briefumschläge durch. Der letzte trug den Poststempel vom siebzehnten September dieses Jahres. Er enthielt ein zusammengefaltetes Blatt, das am Computer geschrieben worden war.
Dies ist der letzte Brief, den ich dir schreibe. Ich weiß nicht, ob du ihn liest. Spielt auch keine Rolle. Stattdessen habe ich begonnen, zu dir zu sprechen. Jetzt weiß ich, wie ich es erreiche, dass du mir zuhören musst. Jedes einzelne verdammte Wort wirst du dir anhören, ohne eine Chance, dich zu entziehen. Heute habe ich auf dich gewartet. Du hast damals gesagt, dass du Zeit brauchst. Jetzt ist die Zeit abgelaufen. Ich wollte dich überraschen. Du bist aus der Tür gekommen und mit einem Mann ins Auto gestiegen. Ihr seid zu Aker Brygge gefahren. Seid eine halbe Stunde lang im Auto sitzen geblieben. Am nächsten Tag hat er dich nach Hause gefahren, und als der Typ sich dann an dich herangemacht hat, wusste ich, was los war. Er ist dreiundvierzig, sechzehn Jahre älter als du. Er verdient 850000 Kronen im Jahr und hat sieben Millionen auf der hohen Kante. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Das alles scheint in Ordnung für dich zu sein. Ich hätte dich damals nicht mehr aus dem Keller herauslassen sollen. Die eine Nacht war nicht genug für dich. Eines Nachts, wenn du dich sicher fühlst, werde ich dich aus dem Bett holen und dorthin zurückbringen, und dann weiß niemand, ob du je wieder aus dem Keller herauskommst.
Axel blieb sitzen und betrachtete den Brief. Er war nicht unterschrieben. Der Umschlag trug keinen Absender. Einen Tag, nachdem Miriam bei ihm begonnen hatte, war der Brief abgeschickt worden. Mehrmals hatte sie ihm etwas erzählen wollen, das sie zu ängstigen schien. Doch jedes Mal war er ihr ausgewichen. Sie hatte etwas von dem Keller einer Hütte erzählt, in dem sie gewesen sei, nahe der schwedischen Grenze. Das war in ihrer letzten gemeinsamen Nacht gewesen. Er hätte sie
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