Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
Wissen einfach nicht länger für mich behalten.«
Viken nahm ein Aufnahmegerät aus der untersten Schublade. Es war seit einigen Jahren nicht in Betrieb gewesen.
»Haben Sie etwas dagegen, dass ich aufnehme, was Sie zu sagen haben?«
»Aber nicht im Geringsten, Herr Kommissar. Im Gegenteil, ich will ja, dass möglichst viele davon erfahren.«
Er stutzte über diese Formulierung, fragte jedoch nicht nach, was sie damit meinte.
»Sprechen wir von einem Arzt namens Axel Glenne, der eine Praxis im Bogstadveien hat?«
»Ja.«
»Sind Sie eine Patientin von ihm?«
Auch das bestätigte sie.
»Wovon sollten wir Ihrer Meinung nach erfahren?«
Sie dachte einen Moment nach, dann sagte sie: »Ich bin keine Denunziantin. Das dürfen Sie nicht glauben.«
Er schob das Mikrophon näher an sie heran.
»Die Menschen, die zu uns kommen, sind keine Denunzianten, sondern Zeugen. Wir sind sehr darauf angewiesen, dass Leute wie Sie sich an uns wenden.«
Sie schloss die Augen und betonte jedes einzelne Wort:
»Dr. Glenne ist ein tüchtiger Arzt, sehr tüchtig. Aber er ist nicht der, für den man ihn hält.«
Sie hielt inne.
»In welcher Hinsicht?«
»Er trägt das ganze Leid der Welt auf seinen Schultern.«
Viken wiegte schweigend seinen Kopf hin und her.
»Viele Menschen hat er gerettet. Auch meinen Mann hat er vor dem sicheren Tod bewahrt.«
»Ihr Mann ist krank?«
Sie murmelte etwas, das er nicht verstand. Er meinte, sie hätte »Milchhölle« gesagt, doch er fragte nicht nach, aus Angst, die Krankengeschichte ihrer gesamten Familie präsentiert zu bekommen.
»Entschuldigen Sie, dass ich manchmal etwas schwer von Begriff bin, Frau Lundwall, aber ich habe immer noch nicht verstanden, warum Sie zu mir gekommen sind.«
Sie hielt ihre Augen weiterhin geschlossen. Er sah, dass sie ihre Kiefer zusammenpresste.
»Dr. Glenne hat es auf sich genommen, die Welt zu retten. Ich wollte ihm folgen auf seinem Weg, doch nun glaube ich nicht mehr, dass er dazu in der Lage ist. Ich glaube, er ist ein ganz normaler Mensch, so wie du und ich.«
Viken kratzte sich am Hals.
»Er ist ein Verführer «, sagte sie und sah ihm jetzt direkt in die Augen. In ihrem Blick schien Zorn zu liegen.
»Bedeutet das«, fragte Viken, »dass er bestimmte Grenzen im Umgang mit seinen Patienten überschritten hat?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nicht mit seinen Patienten. Doch er pflegt Umgang mit liederlichem Volk … und Dirnen.« Viken fand diesen Ausdruck ungewöhnlich.
»Sie meinen, er geht zu Prostituierten?«
»Sie können sie nennen, wie Sie wollen.«
»Meinen Sie eine bestimmte Frau?«
Plötzlich stand Solveig Lundwall auf.
»Ich habe alles gesagt. Wenn Sie ihn finden wollen, ich weiß, wo er sich aufhält.«
Auch Viken stand auf und fragte sich, ob er sie dazu bewegen sollte, sich wieder hinzusetzen.
»Nun, wir sind zwar nicht auf der Suche nach Dr. Glenne, doch es gibt da ein paar Punkte in Ihrer Aussage …«
»Ich habe gesagt, was gesagt werden musste. Es geht mir nicht ums Geld. Das können Sie behalten.«
Viken glaubte sich verhört zu haben.
»Geld?«
Solveig Lundwall gab ihm die Hand, und als er sie zögerlich ergriff, beugte sie sich rasch vor und küsste ihn auf die Wange.
»Die dreißig Silberlinge, Kaiphas«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Viken zuckte zurück. Er glaubte, sie habe ihn Kai Foss genannt, und zwinkerte verwirrt. Vielleicht hatte sie ihn von Anfang an für eine andere Person gehalten. Sie lächelte ihn mit ihrem sonderbaren Schimmer in den Augen an, und ehe er sichs versah, hatte sie auf dem Absatz kehrtgemacht und das Zimmer verlassen.
Er blieb stehen und rieb sich die Wange. Erst nach einigen Minuten stellte er das Aufnahmegerät ab und ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl sinken. Noch immer war er zu benommen, um sich darüber aufzuregen, dass es einer offenbar geistesgestörten Person tatsächlich gelungen war, alle Barrieren zu überwinden und bis in sein Büro vorzudringen.
45
A xel Glenne folgte einem Pfad am nördlichen Ufer des Sognsvann. Hielt sich von den Wanderwegen fern. Er wusste nicht genau, warum, wollte jedoch von niemand gesehen werden. Er hatte gerade zwei SMS verschickt. Eine an Miriam, die andere an Bie. Jetzt schaltete er sein Handy aus.
In der Stadt hatte es geregnet. Als er in die höhergelegene Nordmarka kam, bemerkte er, dass es dort ein wenig geschneit hatte. Die Pfade am Blankvann waren von einer dünnen, weißen Decke überzogen, die im fahlen Licht glitzerte. Obwohl
Weitere Kostenlose Bücher