Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
kräftig und blond. Die Statur eines Handballers, dachte sie. Sie wechselte ein paar Worte mit ihm, ehe sie zur Dachwohnung hinaufging.
Die Absperrung vor der Tür war entfernt worden. Sie klingelte. Es dauerte fast eine Minute, bis Miriam Gaizauskas die Tür öffnete. Sie sah blass und mitgenommen aus. Bemühte sich um ein Lächeln, als sie die Polizistin erblickte.
»Ich habe Sie noch nicht erwartet«, sagte sie.
Nina Jebsen setzte sich auf das Sofa und schaute sich in der Wohnung um. Die Wände waren cremeweiß gestrichen, auf den roten Vorhängen waren Tulpen abgebildet. Die Pflanzen auf der Fensterbank ließen die Blätter hängen.
Miriam kam mit zwei Kaffeetassen und einer Obstschale aus der Küche. Nina nahm sich einen Apfel. Sie war hungrig, konnte jedoch mit genügend Kaffee die Zeit bis zum Mittagessen überbrücken.
»Es gibt, wie gesagt, ein paar Dinge, über die ich mit Ihnen reden möchte. Wir hätten das auch am Telefon erledigen können, doch meistens kommt mehr dabei heraus, wenn man sich direkt gegenübersitzt.«
»Ich habe doch schon alles gesagt.«
»Sie haben uns schon sehr geholfen«, entgegnete Nina aufmunternd und biss in den Apfel. »Müssen Sie heute nicht zur Uni?«
Miriam blickte zur Decke.
»Mir ist heute nicht danach.«
»Das verstehe ich. Aber vermutlich hilft es Ihnen auch nicht weiter, den ganzen Tag zu Hause zu sitzen und zu grübeln.«
»Zwei Freundinnen von mir haben schon angerufen und dasselbe gesagt. Morgen werde ich also wohl wieder zur Uni gehen.«
Nina Jebsen schaute sie an. Miriam hatte große, dunkle Augen und eine schön gewölbte Stirn, auf der hin und wieder winzige Fältchen sichtbar wurden und sogleich wieder verschwanden. Die Nase war ziemlich lang, aber gerade und schmal. Nina empfand Sympathie für sie und nahm sich vor, ihre Urteilskraft dadurch nicht beeinflussen zu lassen.
»Sie haben gesagt, dass Sie am Dienstagmorgen jemand unten an der Tür gehört haben? Das war um kurz nach fünf. Ist die Tür ein oder zwei Mal geöffnet worden?«
Miriam überlegte.
»Ein Mal.«
»Haben Sie jemand reden gehört?«
»Nein.«
Nina wartete kurz, ehe sie sagte:
»Sie können uns vertrauen, Miriam. Sie brauchen keine Angst davor zu haben, sich uns anzuvertrauen.«
»Ich habe schon alles gesagt, was ich weiß.«
Sie stand auf und verschwand in der Küche. Kam mit einer Kanne Kaffee zurück.
»Hm, guter Kaffee!«, lobte Nina, nachdem sie den ersten Schluck getrunken hatte. »Sie haben gesagt, dass Sie gestern Abend allein waren.«
Miriam nickte kaum merklich.
»Aber leider entspricht das nicht der Wahrheit.«
Sie zuckte zusammen.
»Wie meinen Sie das?«
»Unsere Kriminaltechniker haben in der Blutlache im Treppenhaus einen Fußabdruck entdeckt. Jemand ist mit Socken da hineingetreten.«
Nina bemerkte, wie Miriams Hände sich um die Armlehne klammerten.
»Rückstände derselben Socken sind auch in Ihrer Wohnung gefunden worden. Im Eingangsbereich, in Ihrem Wohnzimmer und in Ihrer Schlafnische.«
Ohne eine Reaktion abzuwarten, zog Nina ein Blatt Papier aus der Jackentasche, faltete es auseinander und legte es vor Miriam auf den Tisch.
»Der Zeitungsausträger ist einem Mann begegnet, als er das Haus betrat. Er hat uns eine Beschreibung dieses Mannes gegeben. Schauen Sie sich das Bild genau an, und sagen Sie mir, ob Sie das Gesicht an irgendjemand erinnert.«
Miriam starrte die Zeichnung an. Nina sah, dass ihre Pupillen sich weiteten und ihr Nacken bebte. Jetzt ist es so weit, dachte sie, ehe Miriam sich die Hände vor das Gesicht schlug und ihr gesamter Oberkörper zu zittern begann.
*
Die Tür zu Vikens Büro war angelehnt. Nina stürmte herein und klopfte erst an, als sie die Tür hinter sich schloss. Viken saß vor dem Monitor seines Computers und warf ihr über den Rand seiner eckigen Brille hinweg einen raschen Blick zu.
»Was verschafft mir die Ehre?«
Er deutete auf einen Stuhl.
»Übrigens habe ich nichts dagegen einzuwenden, wenn Leute erst hereinkommen, nachdem sie angeklopft haben.«
»Natürlich, tut mir leid.« Sie zückte einen Notizblock und begann zu blättern. »Ich dachte, es würde dich interessieren, dass ich Miriam Gaizauskas noch mal verhört habe.«
»Du siehst aus, als hättest du im Lotto gewonnen.«
»Miriam Gaizauskas hat im Herbst ein Praktikum in einer Arztpraxis absolviert. Und jetzt rate mal, wie der Arzt hieß.«
Vikens Kiefer begannen zu mahlen.
»Du meinst doch nicht etwa …«
Sie gab ihm keine
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