Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
gearbeitete Pfeifen. Mathias suchte für seine Frau eine kleine Brosche aus und kaufte für sich eine Tonpfeife mit kunstvoll getriebenem silbernem Rohr und einem Mundstück aus Elfenbein. Der Kaufmann erzählte, dass er die Gesetze des jüdischen Glaubens streng befolge, den Sabbat ehre und deshalb sein Geschäft an diesem Tag geschlossen halte.
Während des Gesprächs war Mathias wie zufällig an ein Fenster getreten. Überschwänglich bewunderte er den Garten und die vielen Obstbäume. Der Händler berichtete stolz, wie viele Gläser Mus, Kompott und Gelee seine Frau eingemacht habe. Mathias strich mit dem Finger über den Fensterrahmen und fühlte, wie morsch das Holz war. Im Garten sah er eine Leiter an einen Birnbaum gelehnt.
Er bezahlte, und der Kaufmann brachte ihn zur Tür.
Mathias entwarf einen Plan und erklärte ihn den Räuberoffizieren. Heckmann sagte: »Das mach mal lieber allein mit ein paar Männern, aber nicht mit uns.« Dann übergab er ihm das Brecheisen.
»Eigentlich brauch ich’s gar nicht.« Mathias nahm es aber mit beiden Händen.
Am nächsten Samstag ließen sich Mathias und drei Helfer abends über den Rhein rudern. Es war noch vor zehn Uhr, als die vier Männer durch die leeren Düsseldorfer Straßen gingen.
Im engen Durchgang zum Garten banden sie sich Lumpen um die Schuhe, einer blieb als Wache zurück, die anderen kletterten über den Bretterzaun. Hinter einem Fenster im Erdgeschoss brannte Licht. Die Leiter verhakte sich in den dürren Ästen des Birnbaums. Mathias schloss die Augen, umfasste zwei Sprossen und riss an der Leiter. Es knackte, und kleine Zweige fielen auf das trockene Laub. Sie starrten auf das erleuchtete Fenster. Nichts regte sich. Dann trugen sie die Leiter zur Hauswand und lehnten sie an das Fenster. Als Mathias hinaufstieg, konnte er den Kaufmann und seine Familie beim Gebet beobachten. Auch das leise Scharren beim Anlehnen der Leiter an die Hauswand hatten sie nicht gehört. Mathias drückte gegen den Fensterflügel. Nichts. Er drückte stärker. Dann spürte er, wie der Rahmen langsam nachgab, hörte, wie die Schrauben aus dem morschen Holz brachen. Der Spalt wurde breiter. Mathias konnte die Finger durchschieben. Vorsichtig tastete er nach dem Riegel, konnte ihn fassen und ganz herausbrechen. Das Fenster war offen. Nach zwanzig Minuten hatte er Tuchballen an einem mitgebrachten Strick heruntergelassen und den gesamten Schmuck eingesammelt.
Die Räuber verschwanden so leise und unbemerkt, wie sie gekommen waren. Die Leiter ließen sie stehen.
Zwischen Weihnachten und Silvester war Mathias bei den sechs Überfällen, die die kleine Neußer Bande machte, jedes Mal der Anführer. Sie beschränkten sich auf einsame Gehöfte in der Gegend um Neuß. Der Winter war kalt, und der Schnee lag hoch auf den Wegen. Es war unmöglich, schnell weite Strecken zurückzulegen. Aber dann hatte Mathias von einem Händler gehört, der gerade von einer sehr erfolgreichen Geschäftsreise zurückgekehrt sein sollte.
Er wohnte in Kettwig bei Essen. Zwei Tage waren die Räuber unterwegs, bis sie das Haus des Kaufmanns erreichten. Sie warteten, erst nachdem alle Lichter gelöscht waren, brachen sie vorsichtig die Haustür auf Doch kaum waren die Männer eingedrungen, als der Händler im Nachthemd die Treppe herunterkam. Er war ein großer, breitschultriger Mann. Er schrie und hielt eine Axt in der Hand.
Er stürzte sich auf Mathias. Der konnte dem ersten Hieb ausweichen, sprang, ehe der Händler noch einmal ausholen konnte, mit dem ganzen Körper gegen den Mann. Der Händler schwankte und ließ die Axt fallen. Mathias krallte sich an ihn, riss an seinen Haaren, kratzte und schlug, trat ihm in die Hoden, schleuderte schließlich seinen Kopf mehrmals gegen die Wand. Der massige Körper fiel zu Boden. Mit Händen und Zähnen riss Mathias lange Streifen aus dem Nachthemd und fesselte den bewusstlosen Händler.
Das alles war sehr schnell gegangen. Die anderen standen wie erstarrt. Sie sahen Mathias verblüfft, fast erschreckt an. Sein Gesicht war ohne Ausdruck. Nur an den Augen erkannten sie die gefährliche Wut.
»Du hast ihn richtig zerfetzt«, sagte Overtüsch vorsichtig.
Sie fanden das Geld des Händlers und kehrten in die Neußer Furt zurück.
Von jetzt an gehörte Mathias zu den Anführern. Die Männer waren zufrieden mit ihm. Es gab ausreichend Geld für Unterkunft, Schnaps, Weiber und Essen.
Im Februar des Jahres 1796 brachte Weyers aus Köln die Nachricht mit, der Wirt von
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