Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
Lütticher Goldgulden. Mathias gab jedem hundert Gulden, er selbst nahm sich vierhundert. Wilhelm Bock nahm ihn zur Seite. »Du, Fetzer, komm, wir beide feiern, wir fahren nach Köln und gehen zu den Weibern!«
Juli 1796
Sie klopften stürmisch an die Tür des Bordells. Die Düwels Trück presste den kleinen Räuberanführer herzlich an ihren massigen Busen. Die Mädchen brachten gerade Champagner, da schrie eine der Huren im Flur: »Polizei!«
Wilhelm Bock sprang auf, aber Mathias hielt ihn fest. »Bleib sitzen, wir haben nichts zu fürchten!«
Er zog den Guldensack aus dem Mantel und warf ihn der Wirtin zu. »Versteck ihn! Genau vierhundert Lütticher Gulden!« Die Düwels Trück schob in aller Ruhe das Geld unter die rote Chaiselongue. Zwei französische Offiziere und zwei Polizisten betraten den Raum. Sie verbeugten sich vor der Wirtin. »Eine einfache Hauskontrolle«, sagte einer der deutschen Polizisten. Die vier Männer wollten den Raum schon wieder verlassen, als der eine französische Offizier plötzlich stehen blieb und Mathias anstarrte. Er befahl den Polizisten scharf auf Französisch, die beiden Männer zu verhaften. Es war der Offizier, den Mathias aus dem Bett von Gertrud geworfen und die Treppe hinuntergetreten hatte. Mathias und Bock wurden in den Frankenturm geschleppt.
Der braungraue, düstere Frankenturm stand dicht an der Stadtmauer zum Rhein hin, zwischen riesigen Bretterbergen, die zum Schiffsbau verwendet wurden, und stinkenden Abfallhaufen mit toten Fischen, verfaultem Kohl und Unrat, den die Bewohner der umliegenden schmalen Häuser hier angehäuft hatten. Auf seinem Satteldach drehten sich kreischend einige verrostete Wetterfahnen. Der Turm war das sicherste Gefängnis in Köln. Hier wurden Mörder und Banditen bis zu ihrer Hinrichtung eingesperrt. Die Mauerlöcher waren vergittert. An langen Kordeln ließen die Gefangenen kleine Beutel bis zur Straße hinunter. Mit kläglicher Stimme schrien sie um eine milde Gabe und hofften auf die Barmherzigkeit der Vorübergehenden. Am Eingangsportal stand Tag und Nacht ein Wachposten. Die beiden Räuber wurden getrennt eingesperrt.
Mathias war allein in der Zelle. Nur ein trüber Lichtstrahl fiel durch das vergitterte Mauerfenster. Der Modergeruch vermischte sich mit dem fauligen Gestank, der aus dem Abtritt aufstieg. Mathias sah sich um. Durch das Fenster konnte er nicht fliehen, die eisernen Gitterstäbe waren zu dick, und für einen Sprung lag die Zelle zu hoch über dem Erdboden. Die Tür war aus Eichenbohlen, und die Wände waren aus Feldsteinen gemauert.
Mathias untersuchte das eckige, einfach in den Boden gesägte Kotloch. Es führte in einen langen Schacht, der unter dem Turm in einer Dunggrube endete. Die Bodenbretter, die an die Öffnung grenzten, waren feucht und morsch geworden. Er riss eine Bohle los und klemmte sie unter die nächste, doch das Krachen alarmierte den Wächter. Mathias wurde sofort in die höchste Zelle des Turms gebracht. Dieser Raum galt als ausbruchsicher, weil die einzige Wendeltreppe durch die Wachstube führte. Das enge Turmzimmer war an den Wänden und an der Decke mit dunklem Holz beschlagen. Nach langem Suchen fand Mathias endlich ein loses Brett in der Türverkleidung. Dieses Brett aus dickem Eichenholz stemmte er vorsichtig heraus. Nun klemmte er das Brett zwischen Türrahmen und Schloss, wartete, bis die Glocke von Groß-St.-Martin um zwölf Uhr zum Mittag läutete, und in diesem Lärm brach er die Tür auf.
Vorsichtig stieg Mathias die enge Wendeltreppe bis zu einer Zwischentür hinunter. Durch eine Ritze konnte er in die Wachstube sehen. Er hörte, wie der Aufseher den Wärter in die Stadt schickte, um das Mittagessen zu holen. Als der Wärter die gegenüberliegende Tür öffnete, konnte Mathias die nächste Wendeltreppe sehen, die weiter nach unten führte.
Gleich darauf verließ auch der Aufseher die Wachstube. Mathias tastete die Tür ab. Am Boden fand er ein Katzenloch und zwängte seinen kleinen Kopf durch den Einschlupf. So konnte er sich in dem Raum umsehen. Auf dem kleinen Holztisch standen zwei Blendlaternen neben einer halb vollen Branntweinflasche. Das Fenster war vergittert, eine der Scheiben fehlte, die Öffnung war mit einem Stück Leder verhängt worden.
Langsam drehte Mathias sich auf den Rücken und entdeckte einen Schlüssel, der über einem Nagel in der Türfüllung hing. Er zog den Kopf zurück und rannte in seine Zelle, nahm das Brett und brachte es zur Tür. Vorsichtig schob er
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