Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
es durch das Katzenloch, tastete mühsam nach dem Nagel und stieß das Holz heftig dagegen. Der Schlüssel fiel klirrend herunter, aber er konnte ihn noch nicht fassen, sein Arm war zu kurz. Er nahm die Latte und stieß den Schlüssel ein Stückchen näher. Es reichte nicht. Mathias keuchte und schwitzte, endlich konnte er ihn greifen. Er hatte Glück, es war der richtige Schlüssel.
Mathias stürzte durch die Wachstube und sprang die letzte Treppe hinunter. Das Außentor ließ sich von innen öffnen, vorsichtig steckte er den Kopf durch die Tür und sah sich um. Kein Wachposten war zu sehen. Mathias schlüpfte ins Freie, holte tief Atem und schlenderte zum Buttermarkt.
Bis zum Abend hielt er sich hinter einer Mauer verborgen, dann schlich er in die Brückenstraße. Lange beobachtete er das Haus der Düwels Trück, erst als er sicher war, dass keine Polizei im Haus oder in der Nähe war, klopfte er leise.
Die Wirtin lachte, als sie ihn sah. »So einen Kerl wie dich habe ich noch nie gesehen!«
»Gib mir mein Geld!«, sagte Mathias, »und eines von deinen Mädchen, aber ’ne Große.«
Früh am nächsten Morgen schlich er aus der Stadt. In Longerich mietete er einen Bauernkarren und ließ sich nach Neuß bringen.
In diesen Monaten erfuhr die linksrheinische Bevölkerung deutlich, wie ungeschützt und ungeordnet das Leben noch unter der neuen französischen Herrschaft war. Die Verwaltung der einzelnen Departements war schlecht organisiert. Bürgermeister und Polizeipräfekten waren nicht im Stande, plündernde Deserteure und raubende Banden wirkungsvoll zu bekämpfen. Es gab kein Gesetz, das den Behörden erlaubte, auch in den benachbarten Departements oder auf rechtsrheinischem Gebiet nach verdächtigen Personen zu fahnden. So konnten die Banditen jeder Verfolgung dadurch entkommen, dass sie nach einem Überfall in ein benachbartes Departement flohen. Wenn sie in den rechtsrheinischen deutschen Staaten, auch in denen, die französisch besetzt waren, geraubt hatten, konnten sie über den Rhein nach Frankreich rudern und sich in Neuß, Köln oder in einem der anderen Räubertreffpunkte auf französischem Gebiet verstecken.
Sie nisteten sich in den Städten ein, die nahe genug am Rhein oder an einer der Departementsgrenzen lagen. Besonders geeignet waren die Städte, in denen die Verwaltung ängstlich vermied, gegen die Verbrecher durchzugreifen. Viele Stadtbeamte nahmen von den Räubern Bestechungsgelder und Geschenke an. So ermöglichten sie den Banden, fast ungefährdet Überfälle zu planen und auch durchzuführen.
Aus diesem Grund hatte sich die Bande in Krefeld einige Jahre halten können. Aber als im Frühjahr 1796 der damalige Landrichter starb und ein junger, unbestechlicher Beamter sein Nachfolger wurde, war Krefeld zu unsicher geworden. Die Räuberoffiziere zogen zu Mathias in den ›Schwan‹, und die Kumpane hausten zum Teil auf einem Bauernhof bei Röttgen, der geschützt in einem Waldstück lag, oder sie wohnten bei Kobus ›An der langen Hecke‹.
Um seine Bedeutung herauszustellen, hatte Mathias zwei seiner Kumpane überredet, ihn für einige Zeit als Leibwächter zu begleiten. Es waren die stärksten Männer der Neußer Bande. Mathias hatte zugesehen, wie sie mit bloßen Händen ein Eisengitter aus der Verankerung gerissen hatten. Es war ihm gleichgültig, dass er ihnen jeden Auftrag zweimal erklären musste, ehe sie ihn begriffen. Sie durften niemandem verraten, wie viel Geld er ihnen für ihren Dienst bezahlte. Die Krefelder Anführer sollten glauben, die beiden dienten ihm aus Ergebenheit.
In den Häusern an der Neußer Furt fühlte sich die Bande sehr sicher. Ein trinkfreudiger Vikar hatte sich mit den Männern angefreundet. Von ihm erfuhren sie rechtzeitig, wann Militär oder Polizei eine Razzia planten. Für diese Informationen ließ sich der junge Geistliche mit Schmuck und Geld bezahlen. Die Neußer Furt lag eine knappe Wegstunde vor den Toren der Stadt. Im benachbarten Kloster Meer waren Reiter stationiert, die aus den besetzten holländischen Gebieten von der französischen Armee als Hilfstruppen übernommen worden waren. Auch unter ihnen hatten die Räuber Zuträger, die sie warnten, bevor die Reiter ausrückten, um in den Ställen der umliegenden Bauernhöfe und Schenken nach gestohlenen Pferden zu suchen.
Die Ohnmacht der Behörden machte die Räuber mutig. Oft zogen sie lärmend in ein kleines Dorf ein, brachen unter großem Hallo mit dem Sturmbalken die Tür eines Hauses auf
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