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Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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und plünderten es ungestört. So machten sie wohlhabende Familien über Nacht bettelarm. Die Bewohner der kleinen Orte konnten sich nur still verhalten, bis die überfallenen Nachbarn gefoltert, gefesselt und verwundet zurückgelassen worden und die Räuber wieder abgezogen waren, denn Hilfe von außen war nicht zu erwarten.
    Während des Sommers führten die Männer der jetzt großen Neußer Bande viele Überfälle durch. Sogar in Neuß wagten sie Einbrüche. Kaufleute, wie Franz Throhn und Theodor Sassen, wurden ausgeraubt. Die Bande brach bei den Alexianern ein, und sie überfiel die Station des Posthalters Herberz ganz in der Nähe des Obertores.
    Ende August gebar Gertrud ein Mädchen. Mathias erfuhr es, als er gerade von einem Überfall zurückkehrte. Er sprang in großen Sätzen die Treppe hinauf, setzte sich an das Bett seiner Frau und sah auf das Kind. Lange blieb er stumm sitzen, immer wieder strich er sich über die wenigen Haare. Schließlich sagte er: »Wir nennen sie Ursula.«
    Seine Frau nickte. Der junge Vater sah gebannt zu, wie sie das Kind an ihre Brust legte. Mathias lächelte, wenn der kleine Mund sich bewegte und die Hände zu winzigen Fäusten wurden. »Ich mach dich reich«, flüsterte er. Leise verließ er den Raum. Er feierte mit den Gefährten bis zum Abend des nächsten Tages.

September 1796
    In Neuß verkehrte die Bande oft im ›Schwarzen Bären‹, einer dunklen Schenke in einem verwinkelten Fachwerkbau am Markt, dicht neben dem Rathaus. Der Bären Drikes, so wurde der Wirt genannt, machte mit den Räubern gemeinsame Sache. Er kaufte Beute und verkaufte sie an Reisende oder Händler weiter. Bei ihm versteckten sich die Räuber, wenn sie rasch untertauchen mussten. Dadurch war der Bären Drikes vor Überfällen auf sein eigenes Haus geschützt.
    Am Morgen des 11.   September kam Mathias mit seinen Leibwächtern nach Neuß. Bevor er den ›Schwarzen Bären‹ betrat, schickte er die beiden Männer hinein. Sie zogen einigen Gästen die Hocker weg und räumten einen Tisch, indem sie ihn kurz umkippten. Dann ging auch Mathias hinein.
    Karl Heckmann zechte mit drei Kumpanen an einem Tisch in der Nähe der Hintertür. Die Leibwächter begleiteten Mathias zu dem frei gemachten Tisch in der Mitte des Schankraumes direkt unter dem Rad mit acht großen Kerzen, das als Leuchter von der Decke hing. »He, Fetzer, setz dich zu uns, oder erlauben es deine Wachhunde nicht?« Heckmann rülpste laut. Die Männer an seinem Tisch wieherten vor Lachen. Mathias blieb stehen. Die Leibwächter waren ihm selbst lästig geworden. Bei einigen Raubzügen hatte er die beiden Männer schon nicht mehr mitgenommen. Die älteren und erfahrenen Anführer und Räuberoffiziere hatten ihn längst anerkannt, jetzt machten ihn die Leibwächter nur lächerlich. Besonders spürte Mathias den Spott von Heckmann. Schon seit Wochen machte der Räuberhauptmann immer wieder seine Späße, wenn er den kleinen Mann und sein Gefolge sah.
    Nun strich Mathias sich über den flachen Nasenrücken, dann sagte er halblaut: »Geht zurück zum Kobus ›An der langen Hecken Ich brauch euch nicht mehr.« Die beiden großen Männer knurrten ärgerlich, sie wollten bleiben und mit den anderen trinken. Da fauchte Mathias: »Ich will euch nicht mehr sehen! Verschwindet!« Als die Männer seine drohenden Augen sahen, verließen sie stumm das Wirtshaus.
    Mathias setzte sich zu den Kumpanen an den Tisch neben der Hintertür. Karl Heckmann schlug Mathias auf die Schulter. »Allein fällst du nicht so auf. Du kannst auch schneller verschwinden, wenn sie dich verhaften wollen.« Mathias bestellte für alle am Tisch.
    Um die Mittagszeit kam Humbroich in den ›Schwarzen Bären‹, ein bulliger Kerl in der Uniform der Stadtwache. Seit dem Einzug der Franzosen gehörte er zu der Rathauswache. Er kannte die Räuber und ließ sich gern von ihnen zum Schnaps einladen. Heckmann rief: »Na, Humbroich, weißt du was Lohnendes? Dann bekommst du auch einen Schluck!«
    Der Wachposten hatte ein aufgeschwemmtes Gesicht. Über die Nase und die dicken, herunterhängenden Wangen zog sich ein Netz von rotvioletten Äderchen.
    Jeden Tag begrüßte ihn der schwarzbärtige Heckmann mit dieser Frage. Humbroich wusste keinen lohnenden Tipp. Er tat nur seinen Dienst und betrank sich regelmäßig im ›Schwarzen Bären‹.
    Heute wollte er einen Spaß machen. »Im Rathaus gibt es Schätze genug!« Er brüllte vor Lachen und griff nach dem Schnapsglas. Die Räuber lachten mit.

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