Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
vereinfachte ihnen sogar die Beutezüge. Das Direktorium der französischen Regierung befahl als Sicherheitsmaßnahme die allgemeine Entwaffnung der Landbevölkerung. Zwar lieferten nicht alle Leute ihre Waffen ab, aber es geschah nur noch selten, dass die Räuber gegen Pistolen und Gewehre ankämpfen mussten.
Bis zum Ende des Jahres 1797 blieb Mathias in der Neußer Furt. Er führte mit den wenigen Gefährten, die noch ›An der langen Hecke‹ wohnten, hintereinander achtundzwanzig Überfälle durch. Er entkam immer wieder den Soldaten und versetzte mit seinen Männern die kleinen Dörfer bis hinauf nach Nettetal in Angst und Schrecken. Die Beute brachte so viel, dass sie sorglos in der Neußer Furt leben und feiern konnten. In diesen Monaten musste Mathias immer häufiger den Bader aufsuchen. Schon seit einigen Jahren traten auf seiner Haut handtellergroße Flecken auf, die ständig eiterten und nässten. Nach seinem Besuch bei der Hure in Köln hatten sich diese Stellen vermehrt und waren größer geworden. Mathias besuchte den Bader an den Tagen, an denen vor seiner Haustür die silberne Schüssel hing. Das war das Zeichen, dass er heute keine Haare oder Bärte schnitt, sondern die Patienten zur Ader ließ und ihre Krankheiten behandelte. Er betupfte die erkrankten Hautstellen mit Quecksilber und bestrich sie mit einer Salbe. Nach einiger Zeit gingen die Entzündungen zurück. Gertrud warf ihrem Mann vor, sich in Bordellen herumzutreiben und Krankheiten mitzubringen. Mathias ertrug ihre Zänkereien nie lange. Er hielt ihr vor, sie stamme doch selbst aus einem solchen Haus. Er schlug sie. Ursula weinte, wenn sie dabei war. Oft brach Mathias nur des Kindes wegen den Streit ab.
Adolph Weyers war einer der ersten Räuber, die ihren Hauptsitz nach Neuwied verlegten, weil sich hier noch keine der bestehenden Banden niedergelassen hatte. In wenigen Wochen hatte er einige Diebe und Räuber um sich geschart, mit denen er zu kleineren Überfällen auszog. Immer wieder schickte er Briefe zu den verschiedenen Schlupfwinkeln und schrieb den befreundeten Räubern von den Vorzügen seines Hauptquartiers. Er pries die Unaufmerksamkeit der Behörden und lud die Männer ein, sich in Neuwied selbst von den günstigen Zuständen zu überzeugen.
Die Pechsträhne der vergangenen Monate veranlasste einige der Meersener Räuber, darunter Damian Hessel, von Aachen aus nach Koblenz zu reisen und mit der Fähre, der ›Fliegenden Brücke‹, den Rhein zu überqueren. Weyers brachte die Männer bei der Witwe Baums unter, und die Offiziere quartierte er bei Belz ein, einem Wirt, der gleichzeitig der reichste Hehler der Stadt war. Auch Karl Heckmann und Augustin Overtüsch folgten der Einladung. Sie hatten den Brief in der Rossschlächterei bei Aldekerke bekommen.
Die Lage der Stadt war günstig. Die ›Fliegende Brücke‹ brachte die Räuber von dem rechtsrheinischen Neuwied über den Rhein. In der Nähe von Koblenz grenzten zwei der neuen Departements aneinander. Außerdem hatte der Fürst von Wied schon vor Jahren das Gesetz erlassen, jedem Fremden innerhalb der Stadtmauern Schutz zu gewähren. Er wollte damit Handel und Wachstum seiner Stadt fördern. Durch diesen Erlass sammelten sich in Neuwied aber nicht nur Händler und Juden, die hier vor Anfeindungen geschützt waren, sondern die Stadt war auch eine Zuflucht für Schausteller, Bettler, kleine Diebe, Räuber und Hehler geworden.
Seit dem Einzug von Adolph Weyers ließen sich nach und nach einige Offiziere der Räuberbanden ganz bei Belz nieder. Er besorgte in kurzer Zeit mehr als zwanzig Gewehre, dreißig Pistolen, unzählige Stricke, Beile, Brecheisen und Wachslichter, dazu Blei und Pulver. Ein Zwischenzimmer in der oberen Etage diente als Waffenlager. Der Raum war nur durch zwei Tapetentüren zu betreten. Bei Hausdurchsuchungen hatte bisher kein Beamter dieses Zimmer entdeckt. Belz vermietete die Ausrüstung an Weyers und seine Männer, sobald sie zu einem Überfall auszogen. So brauchten sich die Räuber nicht zu sorgen, wo sie ihre Waffen und Werkzeuge sicher verstecken konnten. Dafür wurde der Wirt mit einem Zehntel an der Beute beteiligt. Im Frühjahr 1798 bildeten die in Neuwied versammelten Räuber schon eine schlagkräftige Bande. Nur Fetzer und seine engsten Kumpane hatten sich auf das Werben von Weyers noch nicht gemeldet.
Anfang Mai 1798 schlug Belz den Neuwieder Offizieren zwei Überfälle vor. Der leichtere der beiden sollte dem reichen Pferdehändler Samuel in
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