Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
Porzellanfabrik. Die Männer brachen einen Schrank auf und erbeuteten zweihundert Taler. Auf dem Rückweg wurden sie von der Bürgerwehr überrascht. Ehe sie verschwinden konnten, leuchtete einer der Wächter Müller ins Gesicht.
Am nächsten Morgen hing auf dem Alter Markt und dem Neumarkt eine Beschreibung, die genau auf den Räuber aus dem Elsass passte. Der neu eingesetzte öffentliche Ankläger arbeitete schnell.
Im März hatte jedes der vier Departements einen obersten Vertreter der Anklage bekommen. In Köln war der Verleger, Buchhändler und Professor der Rechte an den Kölner Gymnasien, Anton Keil, dazu ernannt worden. Der vierzigjährige Mann nahm sein neues Amt sehr ernst.
Als Johann Müller seinen Steckbrief am Alter Markt las, wurde ihm Köln zu unsicher. Ohne aufgehalten zu werden, erreichte er das andere Rheinufer. In Deutz fragte er einige Bettler nach einem Wirtshaus, in dem gespielt würde. So kam er zu Mathes Spielmanns. Hier wurde ihm erzählt, dass sich in Neuwied alle Räuber sammelten. »Sogar der Fetzer wohnt in der Herberge des Belz.«
Johann Müller beschloss, auch nach Neuwied zu gehen.
Mai – Juni 1798
Zwei Tage, nachdem Mathias Neuwied verlassen hatte, wurde Gertrud unruhig und fragte Belz nach ihm.
»Der ist doch schon lange weg in die Neußer Furt.«
Gertrud starrte den Wirt an. »Weggefahren? Und er hat mich nicht mitgenommen?«
»Er muss sich verstecken wegen des Daadener Überfalls.«
Gertrud nickte langsam. »Er hat mir gar nichts gesagt.«
Belz griff sie um die Taille. »Reg dich nicht auf Er kommt in ein paar Wochen wieder. Trink was mit mir!«
Gertrud lehnte den Schnaps ab und verließ die Herberge. Seit der Geburt des Kindes war sie etwas fälliger geworden. Sie hatte die Blicke einiger Bandenmitglieder bemerkt. ›Ich könnt leicht einen andern finden‹, tröstete sie sich, wenn Mathias lange nicht bei ihr gewesen war. ›Ich bin immer noch schön‹. Oft war sie verzweifelt, wenn Mathias ihr die Mädchen eines Bordells vorzog. Außerdem war sie eifersüchtig auf Ursula, weil das Mädchen von Mathias so viel mehr beachtet wurde als sie. ›Ich soll das Kind hüten, deshalb hat er mich nicht mitgenommen‹. Gertrud ballte die Hände. ›Verrecken soll der Balg!‹
Manchmal hatte sie daran gedacht, heimlich davonzugehen. Aber sie fürchtete seinen Stolz und Jähzorn. Außerdem wusste sie nicht, wohin sie gehen konnte. Sie kannte nur das Bordell der Düwels Trück.
In der Nacht klopfte es lange an ihre Tür. Gertrud wachte auf »Ja?«, fragte sie. »Mach auf!«
Gertrud lief zur Tür. Sie glaubte, Mathias wäre zurückgekommen. Vor der Tür stand Belz. Kaum hatte die Frau geöffnet, da stieß sie der Wirt aufs Bett. »Ich will dich«, keuchte er. Gertrud schrie, Belz presste ihr die Hand auf den Mund. Sie biss ihm tief in den Handballen. Fluchend ließ der Wirt sie los und Gertrud fauchte: »Wag es nur! Ich sag alles dem Fetzer! Dann lebst du keine Stunde mehr!«
»Der Fetzer kümmert sich nicht mehr um dich.« Belz lachte gemein. »Der geht der kleinen Schwarzhaarigen nicht mehr aus dem Bett.«
Gertrud sah den Wirt mit weit aufgerissenen Augen an. »Was sagst du?«
Belz griff mit der unverletzten Hand nach ihrer Brust. »Er hat sich ein Flittchen mit nach Neuß genommen.«
»Ich werde ihm den Balg vor die Füße werfen!« Gertrud schrie, weinte und schlug mit beiden Fausten auf den Wirt ein.
Sie behielt ihn bis zum Morgen in ihrer Kammer. Belz versuchte sie am anderen Tag zu überreden, in Neuwied zu bleiben. Doch Gertrud hatte sich verändert. »Lass mich. Du Schwein hast deinen Spaß gehabt. Jetzt ist dieser eklige Zwerg dran.«
Auf der Fahrt nach Neuß schlug sie das Kind oft. Wenn Ursula dann weinte, drückte Gertrud sie an sich. Aber bald darauf schrie sie das Mädchen wieder an: »Du und dein Vater, ihr seid schuld!« Die Kleine verstand nichts.
Als die beiden den ›Schwan‹ erreichten, war Mathias mit seinen Männern unterwegs. Gertrud übergab das Kind der Wirtin. »Wo ist sie?«
»Oben!«
Die blonde Frau nahm einen Stock und stürzte die Treppe hinauf, riss die Kammertür auf, warf sich auf Christine und schlug blindwütig auf sie ein. Die schrie wild auf, entriss ihr den Stock, erkannte Gertrud und schlug selber zu, immer wieder. »Ich bring dich um!«, schrie sie. Gertrud lag auf dem Boden und wehrte sich nicht mehr. Die Wirtin des ›Schwan‹ riss Christine zurück. Mühsam raffte sich Gertrud auf und wartete in der Schankstube auf die
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