Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
ihnen in der Herberge gesucht hatten. Er vermutete, dass die Behörden einen günstigen Zeitpunkt abwarteten, um bei Belz und der Witwe Baums eine große Razzia durchzuführen. Nach den Überfällen betrank er sich nicht mehr wie früher mit den Kumpanen. Ständig trug er jetzt eine Pistole bei sich. Sie steckte auf dem Rücken unterm Gürtel und wurde durch die Jacke gut verborgen. Oben in der Kammer lag eine geschnürte Decke, in der er Geld, Kugeln und einen Pulverbeutel eingerollt hatte. Am 16. Oktober, dem Tag nach dem Überfall auf den Wirt Sauerwein, verließ er aus Vorsicht Neuwied und ging ohne Christine mit Overtüsch und einigen Gefährten nach Deutz. Er wollte ein paar Wochen bei Mathes Spielmanns wohnen.
30.–31. Oktober 1800
»Sie hat einem Häftling diesen Brief hier zugespielt. Er ist mit Augustin unterzeichnet.« Diepenbach reichte seinem Vorgesetzten ein kleines Stück Papier über den Schreibtisch. Anton Keil sah auf die junge Frau, die ihm gegenüberstand. »Von wem hast du das Papier?«
Sie schwieg und starrte zum Fenster. Der öffentliche Ankläger las sich die gekritzelten Fluchtanweisungen genau durch. »Wer ist Augustin?« Das Mädchen antwortete nicht.
Der öffentliche Ankläger schickte seinen Sekretär aus dem Zimmer. Er lächelte und zündete sich eine Zigarre an. Vier Stunden sprach er auf das Mädchen ein. Er schmeichelte ihr und drohte, doch er erhielt keine Antwort. Er ließ von seinem Sekretär Wein und eine Mahlzeit holen. Die Augen des Mädchens starrten auf das Essen. Er setzte das Fleisch und den Wein auf seinen Schreibtisch und lud das Mädchen ein, Platz zu nehmen. Sie schlang gierig und trank von dem Wein. Plötzlich fragte Anton Keil: »Ist der Overtüsch in Deutz?«
Das Mädchen nickte, erst dann merkte es, dass es jetzt den Absender des Briefes verraten hatte.
Anton Keil lächelte. »Iss nur, bis du satt bist!«
Die junge Frau gestand, dass der rothaarige Räuber sie geschickt habe, die Nachricht ins Gefängnis zu bringen.
Anton Keil beorderte noch am Abend des 30. Oktober den Stadtobristen Weyer und die Polizeikommissare Josef und Anton Schöning sowie den Kommissar Orban mit einigen Sergeanten nach Deutz. Er gab ihnen den Auftrag, spät in der Nacht eine Razzia in der Herberge des Mathes Spielmanns durchzuführen. »Vergessen Sie nicht, den Deutzer Stadthauptmann zu informieren und ihn um Amtshilfe zu bitten. Aber leiten Sie selbst die Verhaftung, meine Herren!«
Mathias hatte schon am Nachmittag des 30. Oktober das Haus des Mathes Spielmanns verlassen. Er war mit Simon Rüben nach Mülheim gewandert. Die beiden wollten prüfen, ob sie in der Nacht den Laden eines Zucker- und Kaffeehändlers überfallen könnten.
Augustin Overtüsch hatte seine in Seelheim erbeutete Offiziersuniform angelegt, den Federhut aufgesetzt und den Degen umgeschnallt. Er lud zwei Gefährten ein, mit ihm in ein Deutzer Bordell zu gehen. »Da gibt’s Weiber, die nicht zimperlich sind, wenn man genug Geld hat.« Er klimperte mit einer Hand voll Silbertalern. In den ersten Abendstunden verließ er mit den Gefährten die Herberge des Mathes Spielmanns.
Eifrig erklärte sich der Stadthauptmann von Deutz bereit, die Kölner Beamten zu unterstützen. Er wollte so den Verdacht, mit den Räubern zusammenzuarbeiten, entkräften. Leise umstellten die Wachsoldaten gegen Mitternacht das Wirtshaus. Josef Schöning klopfte energisch an die Vordertür. Der Wirt öffnete und sah erschreckt in die Mündung einer Pistole. »Hausdurchsuchung!«, brüllte der Polizeikommissar. Die Beamten stürmten in die Herberge. Sie durchsuchten jedes Zimmer. Die Frau des Spielmanns versuchte, von einer Kammer die Männer fernzuhalten. »Bitte! Meine Kinder schlafen hier. Bitte!«
Josef Schöning schob die Frau zur Seite. Er öffnete die Tür und befahl einem der Sergeanten: »Die Kammer ausleuchten! Unterm Bett nachsehen!« Der Wachsoldat betrat den Raum, die Kinder lagen in einem großen Bett. Sie wachten nicht auf Der Gesuchte befand sich nicht in dem Raum, und Schöning schloss leise wieder die Kammertür. Auch die Suche im Keller, auf dem Speicher und im Stall blieb ergebnislos. Enttäuscht verließen die Polizisten die Herberge. »Hier in der Nähe gibt es ein Bordell. Vielleicht sehen wir uns da einmal um«, schlug der Stadthauptmann von Deutz vor. Er führte den Trupp einige Gassen weiter. Diesmal klopfte er selbst hart an die Eingangstür. Die Wirtin öffnete wütend ein Fenster. Kaum sah sie die
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