Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
gegossenen Kugeln weiter.
Mathias ging in diesen Tagen oft allein am Rhein entlang und starrte auf das Wasser. Regelmäßig kam er bei seinen Wanderungen am Neuwieder Schloss vorbei. Dort beobachtete er am 8. Mai einen Geldwagen, der langsam in den Hof einfuhr, und wie Soldaten eine schwere Kiste in das Gebäude trugen. Mathias fragte einen Hoflieferanten, was sich in diesem Gebäudeteil für Räume befänden. »Das ist die Rentkammer unseres Fürsten«, war die Antwort.
An diesem Abend ging er noch länger als sonst am Rheinufer spazieren. Der Gedanke an die Geldkiste ließ ihn nicht los. Langsam entstand ein Plan, wie die Schatzkammer des Fürsten Wied ausgeraubt werden könnte. »Dann werd ich selbst ein Prinz.«
Mathias erzählte in der Herberge des Belz keinem der Kumpane von seinem Plan. Er wollte ihn bei günstiger Gelegenheit allein ausführen.
8. Mai 1801
Im Schankraum saßen Mathias, Picard, Adolph Weyers und drei Gefährten. Der Franzose forderte die ganze Bande auf, mit nach oben in seine Kammer zu gehen. Er wollte mit ihnen den Plan eines großen Raubes bei dem Mühlsteinhändler Kolhass in Niedermendich besprechen. Es war Mittag. Belz bekam den Auftrag, jeden Gefährten, der noch eintraf, nach oben zu schicken.
»Endlich ein brauchbarer Hinweis!« Anton Keil las das Verhörprotokoll noch einmal durch. »Dieser Mörder ist in Neuwied in der Herberge des Belz gesehen worden.«
Seit der Flucht Karl Heckmanns aus dem Frankenturm konnte Anton Keil kaum noch schlafen. Sein hageres Gesicht hatte einen harten und entschlossenen Ausdruck bekommen. Heckmann hatte vor seiner Flucht den Gefängniswärter Hittorf brutal ermordet. Der alte Mann war gefesselt, geknebelt, gewürgt und mit zertrümmertem Schädel in der Zelle des Flüchtigen aufgefunden worden. Anton Keil hatte versucht, den Hergang des Mordes zu rekonstruieren. Der Wärter musste dem Gefangenen gerade einen Krug Wasser gebracht haben. Dabei war er überwältigt, gefesselt und geknebelt worden. Erst dann musste ihm der Mörder ein Seil um den Hals gebunden und ihn gewürgt haben. Schließlich musste Heckmann den Halbtoten wieder in eine sitzende Stellung gebracht haben, um ihm dann mit dem Wasserkrug den Schädel zu zerschlagen, bis der Steinkrug selbst in Scherben gesprungen war. Die Zelle war bespritzt mit dem Blut des Toten. Der Mörder hatte seine ebenfalls blutverschmierte Jacke am Tatort zurückgelassen und war entflohen.
In den vergangenen Wochen war der öffentliche Ankläger jedem Hinweis auf das Versteck des Mörders nachgegangen. Er hatte schließlich einem Hehler Straffreiheit versprochen, wenn er sich in den Schlupfwinkeln der Räuber nach dem Flüchtigen umhöre. Der Mann hatte am 7. Mai zu Protokoll gegeben, dass sich Heckmann in Neuwied aufhalte.
Von dem General-Commissaire Jean Bon St. André war dem öffentlichen Ankläger als erste Antwort auf sein Schreiben beschränkte Amtsbefugnis in den besetzten Grenzstädten zugebilligt worden. Am Vormittag des 8. Mai bat er den Polizeikommissar Josef Schöning in sein Büro. »Wir fahren zusammen nach Neuwied. Ich werde selbst die Verhaftung des Heckmann leiten. Besorgen Sie bitte einen geschlossenen Reisewagen ohne Wappen und Initialen.«
Erstaunt sah der Kommissar den öffentlichen Ankläger an. Anton Keil sagte ruhig: »Niemand soll unsere Reise vorher entdecken und verraten. Nehmen Sie noch zwei bewaffnete Sergeanten mit und bewahren Sie über unser Vorhaben völliges Stillschweigen.«
Zwei Stunden später war die Kutsche abfahrbereit. Der öffentliche Ankläger trug einen schwarzen Reiseumhang. Diepenbach beobachtete, wie er eine Pistole unter sein graues Wams steckte.
Der geschlossene Reisewagen rollte am frühen Nachmittag von der ›Fliegenden Brücke‹ herunter auf das Deutzer Ufer. Der Kutscher ließ die beiden Pferde in leichten Trab fallen.
In Picards Kammer tranken die Räuber Branntwein, lachten und grölten Soldatenlieder. Der Überfall auf den Mühlsteinhändler war für die nächste Nacht beschlossen worden.
Mathias hatte sich von Weyers zum Würfeln überreden lassen. Die beiden saßen in der Ecke der Kammer, dicht neben der Tapetentür, die in das Versteck der Herberge führte. Sie beteiligten sich nicht an dem Gelage. Mathias hatte zum ersten Mal Glück mit den Würfeln, und Weyers musste Taler um Taler vor ihm auftürmen. Es war später Nachmittag.
Nach Leutesdorf befahl Anton Keil dem Kutscher zu halten. »Wir werden hier bis zur Dämmerung
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