Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
»Jetzt werden sie uns überall suchen!«, rief Mathias. »Wir müssen sofort raus aus der Gegend!«
Johann Müller hatte bei seinem Ausflug nach Hessen von dem kleinen Ort Eckardroth gehört. »Der Amtmann in diesem Kreis beschützt die Räuber. Wir müssen jeden Monat für den Aufenthalt bezahlen, dann können wir in Eckardroth und Romsthal oder auch in Geinhausen wohnen, und niemand stört uns. Da werden wir von der Polizei beschützt.«
Ende Juli verließ die kleine Gruppe den Schlupfwinkel in Pützchen und reiste getrennt mit der Kutsche oder zu Pferd nach Hessen. Mathias, Christine, Johann und Hilde fuhren gemeinsam, hielten in Wetzlar an und kauften sich neue, vornehme Kleider. Sie übernachteten in einem guten Gasthaus und wurden wie reiche Handelsleute bewirtet.
Im größten Gasthaus von Geinhausen trafen sie Augustin Overtüsch und Karl Heckmann im Schankraum. Das Wiedersehen wurde drei Tage und Nächte ausgiebig gefeiert. »Im Rheinland wimmelt es von Soldaten, die uns suchen«, lachte Heckmann.
»Fetzer, der Picard ist schon beim Amtmann. Er will uns eine Nachricht schicken, sobald ein Hehler ihm einen fetten Brocken angebracht hat.« Overtüsch schwitzte und wischte sich mit einem schmutzigen Tuch den Schweiß von der Stirn.
Abends sagte Mathias zu Christine: »Es sind zu viele Kumpane hier. Nur einen Überfall wart ich ab, dann gehen wir nach Neuwied.«
Nach zwei Tagen erreichte die Räuber in Geinhausen eine Nachricht. Picard forderte sie auf, nach Eckardroth zu kommen. Noch am selben Tag brachen sie auf. Picard war wie immer teuer gekleidet und tat sehr vornehm. Er plante, das Haus des Gerichtsschöffen Lauer in Seelheim zu überfallen. Die ausgeschickten Kundschafter berichteten von einem starken Trupp Soldaten, der in dem nahen Kirchheim stationiert war. »Mes amis!«, rief Picard. »Wir sind bessere Soldaten. Wir kämpfen jeden Tag, wir haben keine Angst vor verschlafenen Preußen.«
Zwei Tage lang gossen die Männer Kugeln. Sie kauften beim Amtmann Pistolen, Gewehre und die übrige Ausrüstung. Picard ließ sich zum Anführer wählen. Einige Männer erinnerten sich noch an den Überfall auf den Pfarrer Pithahn, und so wurde Overtüsch zum persönlichen Adjutanten des Anführers bestimmt. Jetzt waren die Räuber sicher, nicht von dem feinen Franzosen betrogen zu werden.
Mathias, Johann und Karl Heckmann wurden zu Unterführern gewählt.
Der Raub gelang mühelos. Sie teilten in einem Wald bei Büdingen. Die Beute belief sich auf achttausend Reichstaler in Gold- und Silbermünzen.
Overtüsch hatte für sich eine Offiziersuniform mit Federhut und Degen erbeutet. Er fuhr mit Heckmann und Mathias von Büdingen in einer Extrapost nach Geinhausen. Während der Fahrt überzeugte Mathias die Kumpane, dass es sicherer wäre, wenn sie sofort nach Neuwied zurückreisten. »Sobald der Überfall bekannt wird, werden uns alle in Hessen suchen und nicht in Neuwied.«
Für Johann war Neuwied zu unsicher. »Ich geh mit Hilde nach Düsseldorf zum Paffrath. Wir sehen uns sicher bald.« So verabschiedete er sich von dem Freund.
Nach Mathias, Heckmann und Overtüsch trafen eine Woche später auch die meisten der anderen Kumpane in Neuwied ein. Mathias hatte Recht behalten. Nach dem Überfall auf den Gerichtsschöffen in Seelheim war es in Eckardroth zu unsicher geworden. Selbst Picard mietete sich bei Belz ein. Mathias war ständig auf der Hut. Er sah die Gefahr, in der alle schwebten.
Im September und Oktober gelangen der großen Bande zwei Überfälle. Der eine, in der Nacht vom 25. auf den 26. September in Breitenau, brachte eintausendzweihundert Reichstaler ein. Der andere, vom 14. auf den 15. Oktober, galt dem Wirt Sauerwein in St. Goarshausen. Die Banditen erbeuteten mehr als sechstausend Francs. Bei beiden Raubzügen mussten sich die Männer gegen die Dorfbewohner wehren, die mit Knüppeln und Flinten auf die Eindringlinge losgingen und sie später auch verfolgten. Doch die Bande entkam, weil sie besser bewaffnet und in der Überzahl war.
Nach Kriegswirren, dann Plünderung durch Soldaten und Banditen hatte die Bevölkerung auf beiden Seiten des Rheins endlich begriffen, dass sie nur durch tatkräftige Gegenwehr ihre Sicherheit wiedererlangen konnte. Die zielstrebige Arbeit des öffentlichen Anklägers in Köln hatte zudem ihr Vertrauen in die Behörden wieder wachsen lassen.
Mathias war es verdächtig, dass in den vergangenen sieben Wochen weder Polizisten noch Soldaten nach einem von
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