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Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Schwarzschleuß folgten dem matten Licht in die angrenzende Wohnstube. Als Johann die Blende von der Lampe nahm und den Raum ausleuchtete, ließ ein lang gezogener, schriller Schrei die Männer zusammenfahren. Dann hörten sie krächzendes Fluchen, dazwischen wimmerte eine hohe Stimme: »Ich bin alt!«
    Johann schwenkte die Laterne. Jetzt fiel der Lichtschein auf ein großes Lager. Fünf alte Frauen saßen aufrecht im Bett. Sie hatten drohend die Fäuste erhoben. Zwischen ihnen lag halb unter der Decke ein Mann, der die Hände gefaltet zur Decke streckte und wimmerte: »Ich bin alt!«
    Jetzt keifte eines der Weiber: »Kommt! Es sind nur drei!«
    Wie Furien sprangen die Frauen aus dem Bett. Zwei stürzten sich auf den Straßburger und bissen ihn in den Arm, dass er die Laterne fallen lassen musste. Sie verlosch sofort. Johann Müller schrie, als ihm scharfe Nägel das Gesicht zerkratzten.
    Mathias wurde von einer der Bestien an den Haaren gezerrt. Er griff hinter sich und schleuderte die Frau zu Boden. Eine zweite bearbeitete ihn mit Fäusten. Er hatte Mühe, sie zu fassen. Plötzlich durchzuckte ein scharfer Schmerz seinen rechten Fuß. Er schrie auf, entledigte sich mit einem Schlag der Frau, die ihm gerade klatschend ins Gesicht schlug, und versuchte, den schmerzenden Fuß zu heben. Vergeblich, denn die Alte, die er vorher zu Boden geschleudert hatte, hing an seinem Bein und biss ihn durch das morsche Stiefelleder tief in den Zeh.
    Schwarzschleuß wurde durch die finstere Stube gehetzt und rannte mit Wucht gegen einen Schrank. Er schrie um Hilfe. Die alten Weiber fluchten und versuchten, ihn in der Dunkelheit zu packen. »Wir müssen weg!«, brüllte Johann.
    Mathias floh in die Küche, hinter ihm das mordlüsterne Geschrei der Furien. Kurz darauf hatte es auch der Straßburger geschafft, sich bis in die Küche durchzuschlagen.
    Eine der Frauen ergriff den schweren Tiegel, eine andere die Pfanne, sie schlugen blind um sich.
    Mathias schlüpfte durch das Mauerloch, aber Johann konnte nicht so leicht durch den engen Durchbruch klettern. Er brüllte auf, als die Pfanne mit Wucht auf sein Gesäß klatschte. Dann war er draußen.
    In sicherer Entfernung warteten die Räuber auf den noch fehlenden Mann. »Den haben die Weiber erschlagen«, flüsterte Mathias. Gespannt lauschten sie auf die Geräusche, die aus dem Hause drangen, sie hörten nur lautes Gekeife. Plötzlich erbärmliches Rufen. Mathias schaute ungläubig in die Richtung, aus der die Stimme kam. »Johann, da oben!« Schwarzschleuß saß, gut erkennbar gegen den Nachthimmel, oben auf dem Schornstein. Durch Kauzschreie verständigten sie den Mann, dass ihnen die Flucht aus dem Haus geglückt war. Schwarzschleuß rutschte vorsichtig vom Dach. Langsam humpelten die drei über die Wiese und zusammen mit dem Wachposten zurück nach Pützchen.
    Sie weckten Christine und Hilde. Die Frauen waren entsetzt, als sie ihre Männer blutverschmiert und zerrissen wiedersahen. Dann starrten sie sprachlos auf Schwarzschleuß, der durch den Schornstein entkommen war. Er war schwarz von Ruß, und seine weißen Augäpfel leuchteten im Schein der Öllampe.
    Am 16.   Juli klopfte ein Kurier an die Tür des öffentlichen Anklägers von Köln. Er wurde vom Sekretär Diepenbach hereingelassen. Der verschwitzte und staubbedeckte Reiter brachte eine Nachricht aus Wesel. »Gestern in den ersten Morgenstunden sind die Anführer des Daadener Raubes entflohen.« Der Kurier berichtete, dass sich Adolph Weyers, Karl Heckmann, Augustin Overtüsch und noch weitere neun Banditen aus ihren Zellen befreien konnten. »Alle Ketten sind durchgesägt, die Schlösser geöffnet und die Wächter niedergeschlagen worden.« Anton Keil dankte dem Kurier.
    Sobald der öffentliche Ankläger mit seinem Sekretär wieder allein war, sagte er: »Jetzt, Diepenbach, jetzt wird die letzte Jagd auf die Verbrecher bald losgehen. Wir haben von allen Anführern eine genaue Beschreibung. Die Banditen werden sich mit ihren alten Genossen zusammentun. Je mehr sich an einem Ort aufhalten, desto eher werden wir es erfahren! Vielleicht geht uns auch dieser Fetzer ins Netz.«
    Der öffentliche Ankläger diktierte seinem Sekretär Briefe an die Polizeikommissare und Richter von Krefeld, Neuß, Düsseldorf, Deutz und Neuwied. Er beschrieb die entsprungenen Räuber und bat die Beamten um erhöhte Wachsamkeit und Zusammenarbeit.
    Die Nachricht von dem Ausbruch der Kumpane erreichte nach einer Woche den Schlupfwinkel in Pützchen.

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