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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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möchte dich bitten, mir jetzt einfach zuzuhören. Stell bitte keine
     Fragen – es ist besser für uns beide, wenn du nicht zu viel weißt.» Sie holte den Brief aus ihrem Kleid, den sie im Café verfasst
     hatte, und legte ihn auf den Wirtstisch. «Wie du schon sagtest, ist morgen der Flug. Ich werde von diesem Flug nicht zurückkehren,
     Rosanne.»
    «Nicht zurückkehren?», schnappte Rosanne. «Was meinst du damit?» Sie hob die Hände. «Entschuldige. Bitte sprich weiter.»
    Marie-Provence stützte die Ellenbogen auf den Tisch und betrachtete ihre Finger. «Ich werde gleich anschließend eine Reise
     antreten. André   … André weiß nicht, dass ich nicht zurückkehren werde. Er weiß von der ganzen Reise nichts, und er   …» Sie unterbrach sich, presste einen Augenblick die Fingerspitzen auf die Lippen und blinzelte. Nach ein paar Sekunden fuhr
     sie fort: «Er wird es nicht verstehen. Und er wird sehr wütend auf mich sein. Aber vielleicht, irgendwann, wird er wissen
     wollen   …» Sie schob Rosanne den Umschlag hin. «Hier drin steht, wo er mich finden kann. Ich will den Umschlag nicht irgendwo liegen
     lassen. Er könnte in falsche Hände geraten, oder André könnte ihn in einem ersten Anflug von Zorn vernichten.» Sie tastete
     nach Rosannes Hand und hielt sie fest. «Dieser Brief ist extrem wichtig für mich, Rosanne, verstehst du? Würdest du ihn André
     geben, wenn ich fort bin?»
    Rosanne zog sie beherzt an sich. Voller Wärme sagte sie: «Aber natürlich, Marie-Provence. Wir hatten doch bereits darüber
     gesprochen. Du kannst dich auf mich verlassen.»
    ***
    |375| Als der Tag anbrach, überspannte reiner Azur die Stadt.
    «Ideales Wetter für unser Vorhaben», freute sich André, während sich das naturgetreue Modell des Ballons, das sie monatelang
     begleitet und an dem er Marie-Provence vieles über die Kunst des Fliegens beigebracht hatte, fast kerzengerade in den Himmel
     erhob. «Kaum Wind.» Er schirmte die Augen mit der Hand ab. «Leichte Brise aus Süd-West.»
    Ein dumpfes Grollen erschütterte die Luft.
    «Ah, der erste Abschuss.» André erklärte: «Eine Idee von Barras, um den Menschen den baldigen Abflug kundzutun. Drei Kanonenschläge:
     der erste, wenn der Ballon startklar ist. Der zweite, wenn die Fallschirmapparatur angebracht wurde. Der dritte, wenn es losgeht.»
     Er warf einen Blick auf seine Taschenuhr. «Wir haben noch etwa eine Stunde. Ich ziehe mich jetzt an und gehe dann zum Ballon.
     Am besten kommst du in etwa einer Viertelstunde nach, so kannst du dich in Ruhe zurechtmachen und brauchst nicht zu warten.»
    Sie nickte. «In Ordnung.»
    «Vergiss nicht, zusätzlich etwas Warmes zum Anziehen mitzunehmen. Es ist kalt da oben.»
    «Ich weiß, mon chéri.» Marie-Provence lächelte sanft.
    André, der sonst knappe und präzise Anweisungen liebte, wiederholte seit Stunden dieselben Ratschläge. Es war die einzige
     Blöße, die er sich gab – äußerlich verriet nichts seine Nervosität, und seine Hände bebten nicht, als er jetzt ihr Gesicht
     hielt.
    «Ich liebe dich.»
    Er hätte es nicht zu sagen brauchen, der Ausdruck seines Gesichtes, der Blick seiner Augen war beredt genug. Auch spürte Marie-Provence,
     dass der kleine Satz eigentlich ein Appell war, die Bitte, ihm zum Geschenk zu machen, was sie ihm bisher immer vorenthalten
     hatte. Ihre Augen wurden feucht. Obwohl ihr Herz schon lange für diesen Mann schlug, hatte sie es ihm noch nie gesagt, um
     nicht ein weiteres Band zu knüpfen, das durchschnitten werden würde. Doch jetzt lag ihr Brief bei Rosanne, und ihr Herz, ihr
     dummes, |376| unvernünftiges Herz, hatte sie erpresst und gezwungen, eine Hoffnung zu gebären, gleichwohl ihr Kopf doch wusste, dass ein
     Schnitt zwar schmerzreicher, aber letzten Endes vielleicht heilbringender gewesen wäre. Und ihre Lippen gaben ihrem Herzen
     nach.
    «Ich liebe dich auch, mon amour.»
    Er antwortete nicht, doch ein Strahlen verwandelte sein Gesicht. Es war so hell, dass es ihr Innerstes berührte, bis auf den
     Grund. Es lag eine Macht in diesem Strahlen, der sie nicht gewachsen war. Sie fühlte einen Sog, fühlte, wie sie weich wurde,
     warm und schwach, bis ihre eigenen Züge sein Strahlen aufnahmen, es spiegelten und ihm zurückschenkten. Sie tauschten einen
     letzten, innigen Kuss.
    Marie-Provence war erleichtert, als André sie sanft von sich schob. «Ich muss los!»
    Sie begab sich in den Hof der Schmiede, in dem der Drahtkäfig mit den neuen Tauben stand.

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