Die Ballonfahrerin des Königs
schönste, eindrucksvollste und wunderbarste Gefährt,
das Sie jemals in Ihrem Leben erblickt haben. Er ankert da draußen.» Im Laufgang ertönte ein verblüffter Schrei. Marie-Provence
zwinkerte Charles zu. «Gomin hat ihn gerade entdeckt.» Sie streckte eine Hand aus. «Wollen Sie den Ballon auch sehen?» Leiser
Triumph durchzuckte sie, als Charles nach ihr griff.
Draußen, im Laufgang, wehte inzwischen eine leichte Brise. Der Korb schabte an der Mauer. Erregte Stimmen ertönten von unten,
doch die Läden nahmen den Blick auf das Geschehen. Charles stoppte abrupt, als er den Ballon erblickte. |388| Sein Mund öffnete sich. Ein paar Sekunden lang sah er aus wie jedes andere verzauberte Kind.
Marie-Provence drückte seine Hand. «Es ist ein ungeheures Abenteuer, in einen solchen Ballon zu steigen und abzuheben, finden
Sie nicht auch?» Sie sahen sich an. «Kaum ein Mann würde sich das zutrauen. Und ich habe noch nie von einem Kind gehört, das
jemals ein solches Wagnis eingegangen wäre.»
Er nickte ernst und sah den Ballon an. Verstärkte den Druck seiner Finger. Doch dann warf er einen Blick zurück.
Was ließ ihn zögern?
Stimmen wurden laut. Kamen sie von unten oder vom Treppenhaus? Marie-Provence biss sich auf die Lippen. Sie hatte von ganzem
Herzen gehofft, Charles dazu bringen zu können, aus eigener Entscheidung mitzukommen. Doch die Zeit lief ihnen davon.
«Wenn du erlaubst, citoyenne …» Gomin warf Batz einen zaghaften Blick zu. Er hob eine Hand. «Monsieur Charles redet manchmal im Traum. Heute Nacht fiel
der Name seiner Mutter.»
Marie-Provence drehte sich der Magen um, als ihr aufging, dass das Kind noch nichts von Marie-Antoinettes Schicksal ahnte.
Plötzlich und mit aller Macht schoss die Erinnerung an ihre eigene Mutter in ihr hoch. Und zum ersten Mal war sie dankbar,
dass sie hatte Abschied nehmen dürfen. «Ihre Mutter wohnt nicht mehr im donjon, Charles.» Sie beugte sich zu ihm hinab, suchte
seinen Blick. «Sie können gehen. Sie sind frei. Und wenn Sie möchten, nehme ich Sie jetzt mit.»
Charles’ Lippen zogen sich vor Angst zusammen. Gleichzeitig aber griff er auch mit der zweiten Hand nach ihr und nickte.
Ein Geräusch. Diesmal kam es eindeutig aus dem Treppenhaus. Marie-Provence und Batz tauschten einen Blick.
«Wir haben viel Zeit verloren. Sie müssen los», drängte der Bärtige.
Marie-Provence nickte. «Kommen Sie!», bat sie das Kind.
|389| «Ich wünsche Ihnen alles Gute, Monsieur Charles», meinte Gomin – und sackte auf den Steinboden.
«Keine Sorge, einen kleinen Kolbenschlag hat noch jeder überlebt», beruhigte Batz. «Und es ist besser als eine Anklage für
Mittäterschaft.»
Sie eilten alle drei zum Korb. Marie-Provence sprang zuerst hinein und nahm dann Charles entgegen, den Batz ihr reichte.
In dem Augenblick stürmte ein Soldat aus dem Treppenhaus. Seine langen schwarzen Haare wehten wie ein Vorhang hinter ihm her.
Marie-Provence schnappte nach Luft. Es war Ignace Moulin!
«Mist! Schon wieder dieser Kerl! Ich dachte, ich hätte ihn unschädlich gemacht!», knurrte Batz. «Los, Sie müssen weg!»
In fliegender Hast löste Marie-Provence beide Seile vom Korbrand und warf sie Batz zu. Sofort begann der Ballon von der Mauer
abzutreiben. Batz verknotete flink die Enden des Bodenseils und des Wurfankers miteinander. Moulin hielt inne und machte sein
Bajonett schussbereit. Die aufwändige Prozedur schenkte den Flüchtigen ein paar kostbare Sekunden. Batz sprang mit einem Satz
über die Zinne.
Ein Schuss fiel. Marie-Provence drückte Charles hinunter. «Legen Sie sich hin! Schnell!», befahl sie.
Batz hangelte sich nun in aller Eile an seinem Seil entlang in Richtung Boden. Moulin versuchte, den zwischen Mauer und Sichtschutz
eingekeilten Wurfanker abzuwerfen, doch es gelang ihm nicht. Nun hievte er sich auf eine Zinne, da die Schießscharten durch
die Läden verschlossen waren. Er ignorierte Batz, stattdessen visierte er den Ballon an.
Etwas pfiff am Korb vorbei. Marie-Provence sah beängstigt an der Hülle hoch. Verflixt – sie gewannen nicht schnell genug an
Höhe! Schuld daran war Charles’ zusätzliches Gewicht.
Wieder ein Schuss.
«Ah!»
|390| Ein Laut, der das Blut in ihren Adern gefrieren ließ. «André?», schrie sie. Keine Antwort. «André! So sag doch was!»
Für Zimperlichkeiten war keine Zeit mehr. Wild entschlossen kappte sie die Befestigung zweier Sandsäcke. Heftiger und unvermuteter,
als sie
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