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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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Hände. Höchstens zwei bis drei Meter trennten sie von den Zinnen − viel
     näher würde der Ballon nicht kommen. Zeit, den Wurfanker zu benutzen. Sie streifte sich lederne Handschuhe über und stellte
     sich breitbeinig hin, wog das Metall in der Hand, holte aus   … Der Anker flog durch die Luft, führte die Leine mit sich. Verschwand hinter einer Zinne. Es schepperte. Marie-Provence zog
     vorsichtig an der Leine, spürte einen Widerstand. Sie verstärkte den Zug – bis die Leine plötzlich ein Stück nachgab. Marie-Provence
     torkelte zwei Schritte nach hinten, bis sie das Gleichgewicht wiedergefunden hatte.
    Sie spähte zum donjon hinüber und sah, dass der Anker ein Stück seitwärts gerutscht sein musste, denn das Seil klemmte nun
     in einem Spalt zwischen der anvisierten Zinne und dem Laden, der als Sichtschutz diente. Marie-Provence zog daran, erst vorsichtig,
     dann kräftiger und schließlich mit aller Macht. Der Ballon bewegte sich auf den donjon zu.
    Marie-Provence’ Arme und Hände schmerzten, als sie nun den Ballon Stück für Stück näher zog. Sie keuchte vor Anstrengung.
     Eigentlich war vorgesehen, dass Batz ihr beim Ziehen half. Wo steckte er nur? Gott sei Dank war die |386| Strecke bis zu den Zinnen nicht weit. Ihr Puls erhöhte sich noch mehr, als der Korb endlich sachte am mächtigen Mauerwerk
     anlegte. Sie erkannte, dass das Seil, das den Ballon am Boden hielt, ein wenig zu kurz war. Eine Armlänge fehlte bis zur Oberkante
     der Mauerkrone. Sorgfältig befestigte sie das Seil des Ankers, zog die Kleiderkiste heran, stieg auf sie. Sie verbot es sich,
     nach unten zu schauen, und streckte sich, um sich auf die Ummantelung zu ziehen.
    «Marie! Marie, was machst du da oben?»
    Andrés Tonfall hatte sich verändert. Er klang weniger besorgt als ahnungsvoll. Marie-Provence presste die Lippen aufeinander.
     Ein Ruck, und sie lag bäuchlings auf der mächtigen Zinne. Ein Blick überzeugte sie, dass der Laufgang verlassen war. Sie sprang
     hinab.
    «Marie! So antworte mir doch!»
    Sie zog ihre Waffe, eilte den Laufgang entlang. Der Ausgang befand sich in einem der Türme. Sie lief auf ihn zu. Wenn Charles
     nicht kam, musste sie ihn eben holen. In dem Augenblick, als sie die niedrige Tür erreichte, die in den Turm führte, tauchte
     jemand aus der Dunkelheit auf dem Treppenabsatz auf. Sie schreckte zurück.
    «Citoyenne? Was machst du denn hier?» Gomin starrte aus runden Augen ihre Aufmachung an. «Ich wähnte dich   …»
    «Wo ist das Kind? Wo ist Charles?», unterbrach sie ihn brüsk, spähte hoffnungsvoll und ängstlich zugleich in das dunkle Treppenhaus
     – und da sah sie ihn, ein wenig tiefer. Langsam, mühevoll schleppte sich das Kind die Stufen hoch. «Charles!», rief sie, stürzte
     auf ihn zu – und hielt inne, als er zusammenfuhr und eine abwehrende Bewegung machte.
    Ein Uniformierter mit angelegtem Bajonett tauchte hinter ihm auf.
    «Was ist passiert? Weshalb sind Sie so spät?», fragte ihn Marie-Provence.
    «Wir hatten ein kleines Problem. Ein Soldat hat uns aufgelauert und versucht, uns zurückzudrängen.»
    Marie-Provence wurde heiß. «Wo ist er?»
    Batz deutete mit einem Grinsen hinter sich. «Liegt auf |387| der Treppe. Der stört uns nicht mehr.» Er zwängte sich an Kind und ihr vorbei, bis er Gomin vor sein Bajonett bekam. «Immer
     mit der Ruhe, dann wird dir auch nichts geschehen, citoyen», meinte er gleichmütig.
    Charles stand noch immer im Treppenhaus und sah voller Angst zu ihr hoch. Marie-Provence zwang sich, sich zu beherrschen.
     Sie ging in die Knie. Setzte sich auf die oberste Stufe.
    «Erkennen Sie mich, Charles?», fragte sie ruhig.
    Blaue Augen, die tief in ihren Höhlen lagen. Ein durchscheinender Teint. Er nickte.
    «Charles, ich weiß, dass das jetzt alles sehr plötzlich ist. Aber vielleicht haben Sie ja auch geahnt, dass dieser Tag kommen
     würde.» Sie sah ihn ernst an. «Dass ich kommen würde, um Sie zu holen.»
    Endlose Sekunden lang konnte sie keine Regung auf dem Kindergesicht ausmachen. Und dann, plötzlich, ein Funken Hoffnung. Angst.
     Und Misstrauen. Sein Kopf bewegte sich nicht, doch sein Blick zuckte nach oben.
    «Der Soldat gehört zu uns, Charles. Er ist da, um uns zu helfen.»
    Die Finger des Jungen verkrampften sich. Draußen scharrte Batz ungeduldig mit den Füßen. Offenbar wurde ihm die Situation
     langsam zu brenzlig. Marie-Provence ignorierte ihn.
    «Ich bin mit einem Ballon gekommen, Charles», lächelte sie. «Er ist das

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