Die Ballonfahrerin des Königs
herüber,
das herunterbrennende Holz warf ihre grotesk vergrößerten Schatten an die lehmverputzte Wand.
Als Charles schließlich doch noch antwortete, klang es, als habe sie eine besonders dumme Frage gestellt. «Weil er es nicht
will», sagte er.
«Woher wissen Sie das? Ich habe Sie ihn noch nie streicheln sehen», hakte Marie-Provence nach.
Charles verfolgte, wie der schneeweiße Vogel mit ruckartigen Kopfbewegungen die Körner aufpickte. «Er hasst mich», sagte er
ruhig.
Marie-Provence zuckte zusammen. «Wie kommen Sie denn darauf?»
«Ich beobachte ihn.»
«Sie meinen, Sie sehen ihm an, dass er Sie hasst?»
Charles’ gerunzelte Stirn machte deutlich, dass ihre Begriffsstutzigkeit ihn verärgerte. «Natürlich nicht. Wie sollte man
einem Vogel das ansehen können?»
Marie-Provence massierte ihre Stirn. Schon seit dem Vormittag plagten sie Kopfschmerzen. Sie brauchte dringend etwas frische
Luft und fühlte sich außerstande, schwierige Gespräche zu führen. Sie lächelte Charles zu, strich ihm zärtlich über die Haare.
«Es war ein langer Tag. Sie sollten sich jetzt schlafen legen. Ich habe Ihnen das Bett bereits aufgeschlagen.»
Ein Nachtvogel rief – ein Käuzchen. So früh am Abend schon? Im selben Augenblick klopfte es einen Takt am Eingang der Kate,
und die Tür ging auf. Herein trat ein staubiger, einfach gekleideter Mann mit Holzpantinen, den |422| Marie-Provence nicht kannte. Ein weißes Abzeichen prangte auf seiner Brust, eine Sichel steckte in seinem Gürtel. Sofort wurde
er von Guy de Serdaine und den anderen umringt.
Marie-Provence näherte sich der Gruppe. Sie verstand nur zum Teil, um was es ging, weil der Mann mit einem starken Akzent
sprach, doch sie war sich sicher, die Worte «Tod» und «Beerdigung» aufgeschnappt zu haben. Schnell schloss sie zu ihrem Vater
auf. «Ist etwas passiert?», fragte sie.
Guy de Serdaine warf einen Blick über die Schulter auf das Kind. «Ist Louis-Charles im Bett?», fragte er statt einer Antwort.
Der Junge saß auf der mit Stroh gefüllten Matratze und versuchte kraftlos, sich das Hemd über den Kopf zu ziehen. Seine Bewegungen
ließen erkennen, dass ihm die Beulen an seinen Gelenken Schmerzen verursachten. Marie-Provence unterdrückte ihre Regung, ihm
zu helfen. Charles brauchte kleine Anstrengungen, wenn er wieder zu Kräften kommen sollte. Allerdings benötigte er auch dringend
Ruhe. Wann endlich würden sie ihr Ziel erreicht haben?
«Er ist dabei. Was erzählt dieser Mann?»
«Du solltest dich auch hinlegen. Es war eine lange Kutschfahrt.» Guy de Serdaine lächelte. «Ruh dich aus. Wenn wir Glück haben,
kommen wir morgen Abend an.»
«Ist das ein Mann von Condés Armee? Heißt das, dass wir morgen über die Grenze nach Deutschland fahren?» Sie runzelte die
Stirn. «Ich finde, sein Akzent klingt seltsam. Seid ihr sicher, dass er derjenige ist, für den er sich ausgibt?»
Ihr Vater klang gereizt. «Marie-Provence, bitte! Sei so lieb und bleib bei Louis-Charles, ja? Wir reden später.» Er wandte
sich ab.
Marie-Provence starrte einen Augenblick lang sprachlos seinen Rücken an. Mit zusammengepressten Lippen kehrte sie wieder zu
Charles zurück, um den Jungen zu pflegen, wie Jomart es sie gelehrt hatte.
Einige Zeit später schlüpfte Marie-Provence aus der Kate. Sie grüßte den Mann, der unauffällig an einer Ecke Wache |423| schob, und atmete befreit auf, als die milde Abendluft sie empfing. Endlich! Seit sie Paris verlassen hatten, hetzten sie
ununterbrochen vorwärts. Stunde um Stunde hatten das Kind und sie in der verdunkelten Kutsche verbracht. Abends fühlten sie
sich stets derart zerschlagen, dass sie nur noch in ihre Betten kriechen wollten. Auch heute drückte die Erschöpfung auf Marie-Provence,
aber noch stärker war ihr Drang, ein paar Schritte zu tun, um in Ruhe nachzudenken. Von ihrem Leben zwischen Maisons und Paris
war sie es gewohnt, sich viel zu bewegen, und die letzten Tage der erzwungenen Untätigkeit hatten empfindlich an ihren Nerven
gezehrt.
Sie blickte sich um. Die Kate lag verlassen in einer waldigen Gegend. Wie immer war die Kutsche außer Sichtweite des Hauses
versteckt worden, um keinen Verdacht zu wecken. Marie-Provence hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Der Wagen fuhr stets
mit verhängten Fenstern, und auch wenn sie durch einen schmalen Spalt ab und zu nach draußen gespäht hatte, hatte die Landschaft
ihr keine Anhaltspunkte geboten. Sie hatten
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