Die Ballonfahrerin des Königs
jetzt stehen wir an der atlantischen Küste!»
Guy de Serdaine nickte ernst. «Ich habe erwartet, dass du verärgert sein würdest, wenn du es herausfindest.»
«Na, dann ist ja alles in Ordnung! Ich bin überaus glücklich, wieder einmal deine Erwartungen zu erfüllen! Das liebe |426| kleine Mädchen, das alles tut, um seinen Vater zufriedenzustellen!»
«Marie, so beruhige dich doch!»
«Wann hattest du vor, es mir zu erzählen, Vater?»
Guy antwortete glatt: «Auch wenn es dich hart trifft: Ich hatte nicht vor, dich einzuweihen. Ich wusste, du würdest es irgendwann
herausfinden.» Er sah sie eindringlich an. «Es wird Zeit, dass dir etwas bewusst wird, Marie: Wir ziehen in einen Krieg. In
den Krieg gegen die Republik. Und in diesem Krieg kann auf gekränkte Eitelkeiten keine Rücksicht genommen werden.»
«In den Krieg?», lachte Marie-Provence schrill. «Und mit was für einer Armee, bitte schön? Hast du selbst nicht gesagt, Condé
würde die einzigen royalistischen Truppen befehligen? Heißt das, auch der Prinz taucht demnächst plötzlich hier auf?»
«Nein, das heißt es nicht, Marie. Es sind andere Männer, mit denen wir kämpfen werden.»
«Männer wie der Mann vorhin vielleicht?»
Ihr Vater nickte ernst. «Ganz genau.» Er machte ein Zeichen und sagte laut: «Tretet heraus, Männer. Vor meiner Tochter braucht
ihr euch nicht zu verstecken.»
Marie-Provence stockte der Atem. Aus dem Buschwerk traten zwei Männer. Nein, drei. Vier … Ungläubig glitt ihr Blick über die abenteuerlich aussehenden Gestalten, vor denen sie in Paris auf der Stelle Reißaus genommen
hätte.
Guy nickte einem der Männer zu. «Darf ich?» Dieser nickte, und Guy lüftete kurz dessen Jackenrand. «Siehst du dieses Abzeichen?»
Ein kleines, aufgenähtes weißes Stoffstück kam zum Vorschein. Darauf war ein Kreuz gedruckt, das aus einem Herzen wuchs.
Dieu, Le Roi
, las Marie-Provence darunter. Gott, der König.
«Dieser Mann ist ein Bretone», fuhr Guy fort. «Und er ist ein Chouan, also ein Mitglied der Aufwieglerarmee, die entschlossen
ist, die Republikaner zu entmachten.»
Marie-Provence erinnerte sich an den Ruf des Waldkäuzchens vorhin. Die Chouans benannten sich nach diesem |427| kleinen nächtlichen Raubvogel, der geschickt und lautlos seine Beute schlug, und benutzten auch dessen Schrei als Erkennungszeichen.
«Tausende von Chouans stehen bereit und warten darauf, sich mit uns zu vereinen.» Guy nickte den Männern zu. «Ich danke euch,
dass ihr mir geholfen habt, meine Tochter zu finden. Ihr könnt jetzt zu euren Leuten zurückkehren.»
«Sehr gern, capitaine. Die werden staunen, wenn sie erfahren, was wir gesehen haben. Und mehr als einer wird heute Abend unserem
Herrgott für die frohe Botschaft danken.» Der Mann mit dem holprigen Akzent nickte Marie-Provence kurz zu, hob die Hand zum
Gruß und war im Nu mitsamt seinen Leuten verschwunden.
«Was für eine frohe Botschaft meint er?», fragte Marie-Provence. «Oder ist das wieder eines dieser militärischen Geheimnisse,
die du mir nicht verraten darfst?»
«In Paris hat die Regierung auf Louis-Charles’ Verschwinden reagiert. Allerdings anders als erwartet.»
«Sie wird ihn suchen lassen, was sonst?»
«Natürlich wird sie das. Aber nur geheim.» Guy zog einen Mundwinkel hoch. «Dieser Barras ist ein gewiefter Hund. Er hat den
Umstand genutzt, dass den Zuschauern entgangen ist, was während des Ballonaufstiegs wirklich passiert ist, und Louis-Charles’
Flucht verheimlicht. Stattdessen hat Barras verbreiten lassen, das Kind sei aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes
gestorben. Er hat sogar eine Kinderleiche aufgetrieben, sie in den Temple geschmuggelt, von irgendwelchen Ärzten obduzieren
lassen und anstelle des Königs beerdigt.»
«So rettet Barras seinen Kopf, der andernfalls gewiss abgeschlagen worden wäre.»
Guy nickte. «Und er verbreitet Verunsicherung in unseren Reihen. Er kann hoffen, dass Zweifel ob Louis-Charles’ Identität
entstehen und unsere Truppen schwächen. Diese Chouans hier waren nur eine Vorhut von all denen, die erst kommen werden, um
sich zu vergewissern, dass der König noch lebt.» Entschlossen fügte er hinzu: «Wir werden Charles |428| ab jetzt nicht mehr ständig verstecken, das wird auch nicht mehr nötig sein. Morgen erreichen wir unser Ziel.»
«Das Kind ist viel zu schwach, um herumgereicht zu werden. Wir sollten es in Sicherheit bringen – ins Ausland.»
«Der König
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