Die Ballonfahrerin des Königs
überhaupt keine Umstände.»
«Soll das heißen, dass ich freigesprochen bin?», fragte André Barras.
«Es soll heißen, dass Ihre Akte vorerst abgelegt wird. Ob zu den Archiven oder auf den nächst zu bearbeitenden Stapel, liegt
an Ihnen.»
André ließ sich auf den Stuhl fallen. Seine Hände fuhren durch seine Locken. Er sah erschöpft und zornig zugleich aus. «Was
erwarten Sie von mir?»
«Ich?», spie Barras aus. Er lachte bitter. «Ich erwarte nichts von Ihnen, als dass Sie mir ab jetzt und für alle Zeiten aus
dem Weg gehen! Und das ist auch das Beste, was ich Ihnen raten kann. Denn nicht immer werden sich Leute finden, die für Sie
sprechen. Und dann könnte ich mich sehr wohl auf die Suche nach besagter Akte machen.» Barras verließ die Zelle ohne einen
Gruß, gefolgt von Andrés dunklen Blicken.
Rosanne trat an ihn heran und berührte sachte seine Schulter. «Du wirst sehen, jetzt wird alles gut.»
«Ich danke dir für deine Hilfe, Rosanne.» Wieder dieses zynische Lächeln. «Du bist und bleibst mein Schutzengel.»
|417| Dass er in einem spöttischen Ton sprach, überhörte Rosanne. Sie war überzeugt: Bei ihr würde André zur Ruhe kommen. Sie würde
sich um ihn kümmern. Hatte sie es Marie-Provence nicht versprochen? Den Brief, den sie in ihrem Rock verbarg, wollte sie später
überreichen. Schließlich würde sie noch unzählige Möglichkeiten dazu haben, wenn André bei ihr eingezogen war.
***
Ein letztes Mal ließ Cédric den Blick durch das Haus schweifen. Es war düster im Treppenhaus, dafür sorgten die vorgeklappten
Fensterläden. Die Laken, die die Möbel vor Staub schützen sollten, bildeten hellgraue Inseln im Halbdunkel. Zwei Jahre hatte
er in diesem Haus gelebt. Zwei Jahre, die jetzt zu Ende gingen. Ein Heim war es ihm nicht geworden.
Er griff vorsichtig nach der versiegelten Kristallvase. Er betrachtete den grauen Inhalt in der durchsichtigen Flüssigkeit
und murmelte wie zu sich selbst:
«
Es geht weiter, mein Schatz. Doch bald sind wir am Ziel. Bald werden wir beide zur Ruhe kommen.» Zu Corbeau sagte er: «Die
Vollmacht liegt auf dem Tisch. Darin wird dir ein kleiner Anteil der Verkaufssumme des Hauses zugestanden. Du tust also gut
daran, es so gewinnbringend wie möglich zu veräußern.»
Corbeau nickte. «Ich werde mein Bestes tun, citoyen.»
«Wenn dein Verdienst abgezogen ist, lässt du den Rest der Summe als Spende dem Waisenheim zukommen. Zu Händen von docteur
Jomart. Hast du verstanden?»
«Ja.»
«Du machst das unter deinem Namen. Meiner soll in dieser Angelegenheit nicht erwähnt werden, ist das klar?»
«Ich werde mich genau an deine Anweisungen halten, citoyen.»
«Ich vertraue dir. Trotzdem werde ich es kontrollieren. Du weißt, dass ich das kann.»
|418| Der Mann blieb ruhig. «Das weiß ich. Du kannst dich auf mich verlassen.»
Cédric nickte zufrieden. «Hast du alles?», fragte er seinen Diener Auguste, der still im Hintergrund stand.
«Es ist alles bereit, Herr. Der Reisewagen ist angespannt, der Gepäckwagen ist beladen. Gustave steht draußen und bewacht
ihn.»
«Hast du an das Essen gedacht? Ich will meine Zeit nicht in Gasthäusern vertrödeln.»
Auguste grinste. «Vom Feinsten, Monsieur. Es ist heute Morgen erst geliefert worden. Kleine Aufmerksamkeit des Wohlfahrtsausschusses.»
Cédric nickte gleichgültig. Jetzt wurde er wieder hofiert. Die Suchtrupps hatten bisher versagt bei der fieberhaften Suche
nach der kostbarsten Geisel der Nation – und man erinnerte sich plötzlich seiner Warnungen. Die besten Pferde, die komfortabelsten
Wagen wurden ihm zur Verfügung gestellt. Hauptsache, er fand das Kind und nahm die Entführer fest. Cédric war von dem Sinneswandel
der republikanischen Behörden nicht überrascht. Er hatte im Laufe seines Lebens bereits einige Schicksalsvolten mitgemacht.
Auf Fortuna war kein Verlass, und besser war es, sich von ihr unabhängig zu machen, um seine Ziele zu erreichen. Auch ließ
ihn der plötzliche Überfluss kalt. Er würde die Serdaines wiederfinden, und wenn er ihnen zu Fuß hinterherlaufen musste.
«Wo fahren wir denn hin?», fragte Auguste.
«Erst einmal nach Dammartin. Und dann …» Cédric hob die Schultern. Die Kristallvase in seinen Händen funkelte in einem einzelnen Sonnenstrahl. «Immer der Nase nach.»
***
Rosanne betrat summend die Küche und machte sich sofort daran, das Feuer zu schüren. Draußen begann der Himmel sich rosa zu
färben. Es würde
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