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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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eindringlich an. «Du kannst mir vertrauen. Das tust du doch, oder?»
    Bist du verrückt?, versuchte sie sich zur Vernunft zu rufen. Es kann dich den Kopf kosten! Sie benetzte ihre Lippen.
    «Ja», hörte sie sich sagen. Und verblüfft wiederholte sie: «Ja, das tue ich.»
    ***
    Als Marie-Provence aus der Kutsche stieg, betrachtete sie stumm die schier endlose, zinnenbewehrte Mauer, die, hier und da
     von hervorspringenden Türmchen unterbrochen, das |80| Areal des Temple vom Rest der Stadt abschottete. Menschen, die im Temple wohnten oder in der rotonde einkaufen wollten, gingen
     durch das Tor ein und aus, allerdings nicht, ohne ihren Ausweis zu zücken, der stets einer gründlichen Prüfung unterzogen
     wurde. Der Anblick war Marie-Provence vertraut. Dennoch bekam sie feuchte Handflächen.
    Denn heute, das spürte sie, war endlich der Tag, auf den sie so lange hingearbeitet hatte. Heute würde sie hineinkommen!
    Dass Jomart zum Temple gefahren war, wusste sie. Sie hatte den Arzt in den letzten Tagen aufmerksam beobachtet und bemerkt,
     dass er immer einen besonderen Ausweis mitnahm, wenn er hierherfuhr. Als Jomart diesen heute Morgen eingesteckt hatte, war
     ihr die Idee gekommen, die Arzttasche zu plündern; so hatte sie einen Vorwand, ihm nachzufahren.
    Ein Trupp Soldaten überholte sie im Gleichschritt, und sie duckte sich unwillkürlich beim martialischen Takt der Absätze auf
     dem Kopfsteinpflaster. Doch sofort rief sie sich zur Ordnung und packte den Henkel des schweren Korbes, in dem das eingewickelte
     Mikroskop lag. Mit festen Schritten näherte sie sich der kleinen Fallbrücke, die den Haupteingang des Temple bildete, und
     hielt auf zwei Garden zu. Die beiden Männer hatten die Piken weit von sich gestreckt und dösten in der Sonne.
    «Klar kennen wir den citoyen docteur», beantwortete einer der Soldaten ihre Frage. «Kommt alle paar Tage hier vorbei. Was
     willst du von ihm?»
    «Er hat etwas vergessen, das er unbedingt für seine Visite braucht. Mein Name ist Marie-Provence Duchesne, ich bin seine Gehilfin.
     Ich bin gekommen, um citoyen Jomart das fehlende Gerät zu bringen.»
    Der Wachmann betrachtete sie mit Wohlgefallen, worauf Marie-Provence den Korb auf Brusthöhe hob. «Schau, citoyen», sagte sie
     mit einem Augenaufschlag. Als der Soldat in lobenswertem Gehorsam über den Korbrand schaute, ergriff Marie-Provence das eingewickelte
     Gerät.
    |81| «Das hat der citoyen docteur vergessen.» Ohne Hast schlug sie das weiche Tuch auf und ließ ihre Finger über das schimmernde
     gelbe Metall gleiten.
    «Was ist das? Doch wohl keine Waffe?», fragte der Zweite misstrauisch.
    «Aber nein, citoyen soldat. Es ist ein Mikroskop. Ein unentbehrliches Gerät, um verborgene Krankheiten aufzuspüren. Möchtest
     du einmal hindurchschauen? Aber vorsichtig, es ist sehr wertvoll.»
    «Damit kann ich nichts anfangen.» Er verzog den Mund und gab ihr das Mikroskop nach eingehender Prüfung zurück. «Aber lass
     sie ruhig durch, Francjeu. Erreichen kann sie eh nichts, niemand wird zum kleinen Capet in den Turm hineingelassen.»
    Marie-Provence schlug die Augen nieder. Capet   … Der Name war ein rotes Tuch für alle Königstreuen. Er bezog sich auf Hughes Capet, einen Vorfahren der Bourbonen. Die Revolutionäre
     hatten diesen Namen König Louis XVI. verpasst, als sie ihn vom Thron stürzten; anschließend hatten sie diese Bezeichnung an
     dessen neunjährigen Sohn Louis-Charles weitergegeben. Sie rieb sich die Augen.
    «Allons, ma belle!», brummte Francjeu begütigend. «Warum denn plötzlich so traurig?»
    Marie-Provence schüttelte entmutigt den Kopf und zog die Nase hoch. «Ich war diejenige, die das Mikroskop heute Morgen nicht
     in die Arzttasche gelegt hat, citoyen soldat. Der Doktor wird schon wütend genug sein, wenn er das entdeckt. Und jetzt sagst
     du, dass ich meinen Fehler nicht wiedergutmachen kann, weil ich nicht bis zu ihm durchgelassen werde!» Sie zog ihre Schürze
     und betupfte sich die Augenlider. «Er wird mich hinauswerfen! Ich werde meine Arbeit verlieren, und heute Abend wird mich
     mein Vater schlagen. Der sagt sowieso, ich sei zu nichts nütze, weil ich mich so gerne zum Tanzen einladen lasse!»
    Der Köder verfehlte seine Wirkung nicht. Francjeu zog seinen Hut in den Nacken. «Tanzen, eh?» Ein Lächeln erhellte sein gutmütiges
     Gesicht. «Hör zu. Ich mach dir einen |82| Vorschlag. Ich bring dich zum donjon und lege ein gutes Wort für dich ein. Sie werden dich zwar nicht

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