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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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legte Marie-Provence die Hände an die Wangen und lachte.
    André, der gerade eine Banderole am Korb befestigte, drehte sich um. «Es gefällt dir?»
    «Es ist das Wunderbarste, das ich jemals erlebt habe!» Sie lachte erneut, breitete die Arme aus und stellte sich in die Flugrichtung.
     «Ich habe immer davon geträumt!» Ihre Stimme überschlug sich. «Ich fliege! Mein Gott, ich fliege!»
    Die Banderole entrollte sich, und die Worte «Vive la république!» erschienen, überdimensional groß.
    Der Ballon flog über die rue Saint Honoré, geometrisch gezeichnete Gärten, kugelige Baumwipfel. Scharen von Menschen sahen
     zu ihnen hoch. Sie schrien, zeigten in Richtung Himmel. Etliche begannen mitzulaufen. Kinder kreischten und klatschten. Noch
     ein paar Dächer – und plötzlich lagen vor Marie-Provence und André die Tuileries mit ihren weitläufigen Alleen und Rasenflächen.
     Von diesen war allerdings nicht viel zu sehen, denn es wimmelte von herausgeputzten Menschen.
    «Wie friedlich diese Menschen alle aussehen», entfuhr es Marie-Provence. «Kann man glauben, dass etliche von ihnen massakrierend
     durch die Gefängnisse gezogen sind? Dass sie Gräueltaten begangen haben, zu denen Tiere nicht fähig wären? Wie ist das möglich?»
     Sie staunte über das Spektakel: |125| die Fête de l’Être Suprême lag zu ihren Füßen – ganz, wie André Levallois es ihr versprochen hatte.
    Das Être Suprême war eine Geburt der Philosophen, eine Gottheit ohne Persönlichkeit und ohne Gesicht, die Mutter des Universums.
     Zu Beginn der Umbrüche hatte sie kaum eine Rolle gespielt, doch ihr Einfluss hatte im gleichen Maße zugenommen wie die Spannungen
     zwischen den Revolutionären und den Katholiken. Vor einem Jahr noch hatten die Machthaber sich dem Kult der Vernunft verschrieben.
     Sie zelebrierten ihn in der zum «Tempel der Vernunft» umgetauften Kathedrale Notre-Dame. Danton war einer seiner überzeugtesten
     Anhänger gewesen, doch dann wurde Danton gestürzt, und Robespierre kam an die Macht. Letzterer förderte den Patriotismus und
     den Bürgersinn und rief dazu auf, den décadi zu feiern, jenen Tag der Zehn-Tage-Woche, der für den früheren Sonntag stand.
     Außerdem hielt Robespierre die völlige Zerschlagung des Christentums für falsch. Er war überzeugt, das Volk brauche eine Staatsreligion,
     und ersetzte den Kult der Vernunft durch den Kult des Être Suprême.
    Marie-Provence konnte mit dieser aus dem Boden gestampften Gottheit jedoch wenig anfangen. Bisher hatte sie immer vermutet,
     dem Volk ginge es ähnlich wie ihr. Die Massen zu ihren Füßen allerdings schienen sie eines Besseren belehren zu wollen.
    «Willst du mir helfen?» André Levallois drückte ihr einen Stapel Papiere in die Hände. «Es wäre wunderbar, wenn du die den
     Menschen dort unten hinunterwerfen würdest.»
    «Die Erklärung der Menschenrechte?», fragte sie überrascht, nachdem sie einen Blick auf die flatternden Papiere geworfen hatte.
    «Die Freunde meines Bruders im Sicherheitsausschuss hielten es für eine hervorragende Idee, sie anlässlich des Festes unters
     Volk zu bringen.» Dann deutete er auf den gut sichtbaren Stempel, der auf jedem Blatt prangte. «Und Mars erschien die Gelegenheit
     ideal, um den Parisern die rechte Gesinnung der Papeteries Levallois darzutun.»
    |126| Marie-Provence zog sich ihre geborgte Mütze tiefer über den Kopf und nickte anerkennend. «Die Idee ist wirklich gut. Dein
     Bruder ist ein fähiger Geschäftsmann.»
    «O ja, das ist er!», rief ihr Begleiter und warf eine Handvoll Papiere aus dem Korb.
    Die Menschen, die bereits auf sie aufmerksam geworden waren, kamen in Scharen angelaufen. Marie-Provence erblickte Kinder
     mit Veilchenkronen und rosengeschmückte Frauen mit ordentlich geflochtenen Haaren. Sie riefen etwas, das Marie-Provence nicht
     verstand. Nichtsdestotrotz warf sie die Blätter mit vollen Händen hinunter und sah amüsiert zu, wie sie, verwirbelten Faltern
     gleich, zu Boden segelten, wie die weißgekleideten Menschen hüpften und danach schnappten.
    «Hörst du das?», fragte André Levallois.
    «Ich verstehe die Leute nicht. Was rufen sie denn?»
    «Marianne.»
    «Marianne?»
    Er ließ seine weißen Zähne aufblitzen. «Frankreichs Marianne, natürlich! Gratuliere! Du bist soeben zur Allegorie der Republik
     gekürt worden!» Als sie ihn nur sprachlos ansah, meinte er: «Ich muss sagen, es ist gut getroffen. So, wie du dastehst, mit
     deinen wehenden Haaren und der roten

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