Die Ballonfahrerin des Königs
Fall!»
«Wunderbar. Dann ist es jetzt höchste Zeit, eine kleine Formalität zu erledigen.» Er holte eine Flasche hervor.
«Champagner?» Sie machte große Augen. Der Schaumwein |131| war im Moment genauso schwer aufzutreiben wie Kaffee und Zucker.
«Ich habe heute Morgen unserem Keller einen kleinen Besuch abgestattet.» Levallois lächelte und nestelte am Verschluss. «Der
Verlust wird meinen Vater hart treffen, aber er wird es verstehen, wenn ich ihm erkläre, dass ich es für eine Taufe brauchte.»
«Eine Taufe? Aber wer soll denn …»
Der Stopfen schoss mit einem lauten Knall seitwärts davon. Es brodelte und zischte, der Champagner entwich der Flasche in
goldschaumigen Wellen und bespritzte alles, was in seiner Umgebung war.
«Hiermit taufe ich dich zur Ballonfahrerin!» André Levallois reckte die Flasche gen Himmel, aus der noch immer der Wein floss.
«Auf dass Wind und Götter dir immer zur Seite stehen und Sturm und Wolken vertreiben! Auf dass der Himmel für dich strahle!
Auf sanfte Landungen und dass die erreichten Ziele dich nie enttäuschen!»
Sie wischte sich Champagner von der Wange, und ihre Blicke trafen sich. Auf einmal schlug ihr Herz schnell. Schlagartig wurde
ihr klar, dass sie sich mit André Levallois allein in einem engen kleinen Korb befand, in schwindelerregender Höhe. Und dass
sie keine Möglichkeit hatte, diese Situation innerhalb der nächsten Viertelstunde zu ändern. Plötzlich glühte ihre Haut. Der
Ballon und ihre Freude waren vergessen. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht?
Levallois streckte einen Zeigefinger aus und wischte Champagner von ihrem Kinn. Die Berührung war so leicht, dass sie es kaum
spürte. Dennoch fuhr ihr ein Blitz bis in die Zehenspitzen.
Sie wich zurück. Kämpfte gegen eine unerklärliche Benommenheit an – eine Benommenheit, die bereit war, alles hinzunehmen,
was dieser Mann von ihr verlangen würde. Sie fand nur eine Erklärung für ihr absonderliches Verhalten: Sie war krank. Natürlich!
Sie holte tief Luft. Es musste der Flug sein. Schließlich hatte sie sich noch nie zuvor in solcher Höhe befunden.
|132| «Ich habe meine Meinung geändert. Lass den Ballon hinunter.»
Seine Hand sank herab. «Habe ich etwas falsch gemacht?»
«Nein – doch.» Sie schüttelte den Kopf. «Ich fühle mich unwohl. Meine Hände zittern, und die Knie … Ich glaube, ich vertrage das Fliegen nicht.» Er sah sie auf eine Weise an, die sie nicht zu deuten vermochte. Aber der Ausdruck
seiner Augen beunruhigte sie irgendwie.
«Ich kenne das», sagte er warm. «Mir geht es heute ganz ähnlich. Und weißt du, was am besten gegen das Zittern hilft? Ein
Schluck aus der Flasche hier.» Er hielt ihr den Champagner und ein Glas hin.
«Du sollst runtergehen, habe ich gesagt.» Ihr war klar, dass sie wie ein verwöhntes kleines Mädchen klang. Zornig riss sie
André Levallois die Flasche aus der Hand, setzte sie an und nahm zwei große Schlucke. Sofort fühlte sie sich besser. Das Zittern
ihrer Hände verschwand, und ihre Stimmung stieg. Sie hob kampflustig den Kopf.
«Ich wusste, dass es dir guttun würde», lächelte André Levallois.
«Trotzdem möchte ich dich bitten, nun so schnell wie möglich …»
Sie konnte nicht weiterreden, denn auf einmal lagen Andrés Lippen auf den ihren. Und dann vergaß sie, was sie sagen wollte.
Er schmeckte nach Champagner.
Er schmeckte so gut, dass sie die Augen schloss.
Im selben Moment verpuffte die Illusion der Stärke. Ihre Beine drohten nachzugeben, und es kostete sie ihre ganze verbliebene
Kraft, sich von ihm loszureißen. Sie wich zurück und stieß gegen den Korbrand. Aus weitaufgerissenen Augen starrte sie ihn
an, während eine plötzliche Böe ihr Haar zerzauste und die ausgedehnten Gärten des Luxembourg unter ihr vorbeizogen.
«Wovor hast du Angst? Warum läufst du immer weg vor mir?», stieß André aus. Er wirkte verunsichert und verletzt. Sie wandte
den Kopf ab.
|133| «Hör auf, mich zu verfolgen! Dann höre ich vielleicht auf, vor dir zu fliehen!»
«Das glaube ich nicht! Ich glaube, du wirst mir nie erlauben, dich einzuholen, Marie!» Er schüttelte den Kopf. «Was macht
dir denn solche Angst?»
«Ich kenne dich nicht!»
Er lachte auf. «Aber genau das ist doch der Punkt! Merkst du nicht, wie widersprüchlich dein Verhalten ist? Du wirfst mir
vor, ein Fremder zu sein, erlaubst aber nicht, dass wir uns kennenlernen!» Er machte einen Schritt auf sie zu. «Rede
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