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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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Mütze, bist du wirklich das Ebenbild unserer mutigen, strahlenden Marianne, der Kriegerin
     und Beschützerin des Volkes, das Symbol der Freiheit und unserer jungen Nation!»
    Marie-Provence lachte auf. «Du bist verrückt!»
    Die Rufe «Marianne!» und «Vive la république – es lebe die Republik!» drangen zu ihnen nach oben. Marie-Provence winkte und
     warf noch mehr Blätter. Sie fühlte sich wie in einem aberwitzigen Traum. Es konnte unmöglich sie sein, die Tochter des capitaine
     Guy de Serdaine, die hier, geschmückt mit einer blauweißroten Schärpe, im Flug revolutionäre Drucke austeilte und vom Volk
     bejubelt wurde! Die Absurdität der Situation ließ sie lachen, bis sie feuchte Augen bekam. Sie konnte sich nicht erinnern,
     wann sie sich das letzte Mal so gelöst gefühlt hatte. Es war, als sei plötzlich alles möglich.
    |127| «Marianne!» Sie winkte und warf eine Handvoll Flugblätter über Bord. Die Menschen tanzten, jubelten.
    Wie schön wäre es, immer so weiterfliegen zu können!, dachte Marie-Provence. Alles hinter sich zu lassen – und den Menschen
     Freude zu schenken. Unwillkürlich suchte sie im fernen Gewirr der Kirchtürme und Schornsteine nach einem trutzigen Turm. Und
     da an diesem Tag irgendwie andere Gesetze zu gelten schienen als sonst, erlaubte sie es sich zu träumen, Charles wäre hier,
     an ihrer Seite, könnte die Freiheit schmecken und das Gesicht in die Sonne recken.
    Diese Überlegung ließ sie erstarren. Auf einmal begann ihr Herz wie verrückt zu klopfen. Fiebrig suchten ihre Augen die Stadt
     ab. Sie legte eine Hand an die Stirn, als ließe sich auf ihr der verrückte Gedanke ertasten, der ihr gerade durch den Kopf
     geschossen war.
    «Sieh mal!» André Levallois brachte den Korb leicht zum Schwanken, als er sich ihr näherte. Er deutete nach rechts.
    Auf einem künstlichen Hügel entdeckte sie ein Podest, um das sich Tausende von Menschen drängten. Auf ihm stand ein qualmendes
     pyramidenförmiges Etwas. Levallois beugte sich zu ihr herüber.
    «Das, was da brennt, ist die Darstellung der Gottlosigkeit, umringt von Ehrgeiz, Zwietracht, Egoismus und falscher Bescheidenheit.
     Das Ganze soll die Hoffnungen des Auslandes symbolisieren.» Er sprach laut, da der Ballon, die Seile und der Korb ständig
     knarrten und ächzten, und sie mochte den Klang seiner Stimme an ihrem Ohr.
    «Es bricht auseinander!», rief sie. «Schau, es ist etwas drin!»
    André reichte ihr ein Fernrohr. In dem bewegten Gefährt hatte sie Mühe, sich zu orientieren, doch schon bald erspähte sie
     einen Mann, der etwas abseits neben der brennenden Pyramide stand. Er hielt einen Strauß von Ähren und Strohblumen in der
     Hand. «Marianne! Marianne!», tönte es immer wieder herauf. Ihr Begleiter warf weitere Drucke hinunter, während Marie-Provence
     beobachtete, wie der Mann in die Richtung spähte, aus der die Rufe kamen. Er war schlank |128| und stand sehr aufrecht, sein Gesicht war gut geschnitten, doch der Ausdruck seiner Augen, als er den Ballon erblickte, behagte
     Marie-Provence nicht. Er konnte sie unmöglich ohne eigenes Fernrohr erkennen, dennoch hatte sie den Eindruck, als blicke er
     sie eindringlich an. Als er sich umdrehte und einem anderen Mann Zeichen gab, stieß sie einen Laut der Überraschung aus: Croutignac.
     «Citoyen!», rief sie. «Wer ist dieser Mann mit dem Strauß, da bei der Pyramide?»
    Ein kurzer Blick durch das Fernrohr genügte André. «Ah! Robespierre persönlich. Es ist sein großer Tag heute: Er hat vor der
     Convention die Verehrung des Être Suprême gegen den Kult der Reinen Vernunft durchgesetzt. Eigentlich sind alle nur hier,
     um ihm zu huldigen!» Er schüttelte den Kopf. «Das Volk trauert noch immer dem katholischen Glauben nach, und das beunruhigt
     Robespierre. Aber ich habe meine Zweifel, ob die Menschen diesen Ersatz annehmen. Das Être Suprême kommt mir doch allzu abgehoben
     vor, zu weit entfernt von den Nöten der einfachen Leute.»
    Es freute Marie-Provence zu hören, dass André Levallois’ Ansichten den ihren ähnelten. Sie hatte schon befürchtet, er könne
     ein ebenso leidenschaftlicher Revolutionär wie sein Bruder Mars sein. Sie hielt das Fernrohr noch immer auf den Politiker
     gerichtet.
    «Die Herren hinter Robespierre sind übrigens die Mitglieder der Convention, der Nationalversammlung unseres Landes. Ich weiß
     allerdings nicht, wer dieser Mann mit den gelben Haaren ist, mit dem er sich gerade unterhält», fügte André

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